Woche 11: Erlebnisorientierte Alltagsgestaltung: Kanulager der WG Tilia
Drei Tage Erlebnispädagogik: die Spannung, die Freude, die Aussicht auf die Erfahrung neuer Erlebnisräume! Die Energie von Ivo Reich kommt 1:1 rüber, er sprudelt nur so von Energie und gespannter Vorfreude. Baden, Paddeln, Grillieren, das sind ja unbestritten schöne Aussichten.
Zu diesen persönlichen Vorfreuden des Sozialpädagogen kommen rasch fachliche Überlegungen zu Aufgaben und Rollen der Betreuer. Diese Vorüberlegungen sind einerseits auf sachliche Aspekte bezogen: Ausrüstung, wichtige Grundsätze zu Gefahr und Risiko; da gibt es eine ganz klare Vorgabe von Seiten der Organisation, „safety first“, die Ausrüstung muss wetterfest sein, das Team hat seine Zusammenarbeit abgesprochen, die individuelle Situation einzelner Bewohner/innen ist bekannt, der organisatorische Aufwand, besonders bei eingeschränkter Mobilität, wird einbezogen. Besonderes Augenmerk im Vorfeld gilt den dynamischen Herausforderungen: die Rahmenbedingungen müssen sich orientieren an den Bedürfnissen der Bewohner/innen, die Sichtweise der Bewohner/innen wird ernst genommen.
Ivo Reich betont, dass die Qualität eines solchen Erlebnisses darin besteht, dass man die Dynamik in der Gruppe auf eine andere Art miterleben kann, es entsteht eine nähere Beziehung zu den Bewohner/innen, das Gestalten von Nähe / Distanz wird zu einer anderen Herausforderung als im Alltag: „es ist kein Kollegen-Ausflug, man darf es geniessen, aber die professionelle Haltung ist wichtig und der Austausch im Team“.
Erlebnispädagogische Anlässe in der Sozialpädagogik werden schon seit mehr als 300 Jahren, spätestens seit Pestalozzi und Rousseau, als bewusster Anlass zu Bildung und Entwicklung einbezogen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist die Unmittelbarkeit einer intensiven Erfahrung, welche positiv auf die Entwicklung des Menschen wirkt / wirken soll.
Zunächst als Gegenprinzip zur Schuldidaktik formuliert (raus in die Natur, statt „stures“ Trichter-Lernen) wurde der Begriff der sogenannten Bindestrichpädagogik als methodisches Konzept in der Theorieentwicklung der Sozialpädagogik übernommen. Es geht dabei um aktives Experimentieren im Gegensatz zum „Be-„ Lehren bzw. „Erziehen“ und zum eher passiven Aneignen von vorbereitetem Wissen.
Es geht darum, Lernorte zu schaffen für Sinneserfahrungen. Professionelle nehmen teil am ganzen Alltag, an den direkten Bedürfnissen, Emotionen, Problemen und Ressourcen ihrer Klientel. Das Erleben der Wirkung unterschiedlicher Räume, das Heraustreten aus einem routinierten und geregelten Alltag kann die Intensität des Lebens durch diese Unterbrechung wieder stärker bewusst machen.
Die Ausnahme zum routinierten Alltag, ermöglicht professionell gerahmte Grenzerfahrungen: Das Meistern einer gemeinsamen Aufgabe als Ernstsituation mit realen Sachzwängen soll neue Erfahrungen des Gelingens, des Bewältigens vermitteln, die Nachhaltigkeit der Erfahrung und des Lernens sichern, Spass und Lernen verbinden.
Nicht zu unterschätzen bei diesen Erfahrungen ist die Wirkung der Gruppe als Lerngemeinschaft. Das Aneignen von spezifischen, aus diesem Setting resultierenden Kompetenzen in der Gruppe zielt auf die Förderung von sozialen Kompetenzen – für einen Alltag, welcher in der Erinnerung oft mit Scheitern, Nichtgelingen etc. assoziiert wird und belastet ist – dafür soll neuer Raum eröffnet werden.
Vor allem drei Aspekte machen das Spezifische des Einsatzes aktivierender gestaltender Methoden in der Sozialen Arbeit aus: Das Sichern solcher intensiver Erfahrungen in den Alltag durch „Anker“ im geregelten Alltag durch Bilder, Anlässe, ein gelegentliches „weisch no?“ Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Reflexion der gemachten Erfahrungen, und zwar in subjektiver Hinsicht, wie das Ivo Reich tut, indem er persönliche Rückschau hält, feststellt, dass die Intensität dieser Erfahrung Energie braucht, die es gut einzuteilen gilt („die Intensität hängt mit der Zeit an, es ist kein easy going, man kann s schon auch geniessen“) – als auch Reflexion in fachlicher Hinsicht: „die Wirkung auf Teamzusammenarbeit und die Beziehung zu den Bewohnern, wird sich in den nächsten paar Wochen zeigen und spiegeln im täglichen Leben“.
Im Zusammenhang mit der Reflexion steht der dritte Aspekt, welcher sich darauf bezieht, dass die Anwendung von Methoden und Techniken stets theoretisch begründet bzw. begründbar sein muss und einem professionellen Konzept zugeordnet werden muss.
Dieser Einblick in die Erlebnis-Kanu-Ferien zeigt so noch ganz viele professionelle Themen auf, anhand derer sich das Team auseinander setzen und weiter entwickeln kann.
Rosmarie Arnold, Dozentin FHS
1 Kommentar zu „Sozialpädagoge in Ausbildung im Blickfeld einer Ausbildnerin 11 | 52“
Toller Beitrag. Würde gern mehr Artikel zu dem Thema lesen.