Neues Jahr, neue Vorsätze. Und wenn keine Vorsätze, dann vielleicht Zeit, sich diverse Fragen zu stellen. Und trotz der Tatsache, dass das Missraten der gefassten Vorsätze daher rührt, dass oftmals die Vorsätze Lösungen sind auf Fragestellungen, die wir uns überhaupt nie gestellt haben, stelle ich mal folgende Fragen in den Raum:
Wie war mein letztes Jahr? Was möchte ich im neuen Jahr beibehalten, was über Bord werfen? Was habe ich alles erreicht? Und was möchte ich in diesem Jahr erreichen? Und habe ich beruflich meine Ziele, aber auch die Erwartungen anderer erfüllt?
„(…) die Erwartung anderer erfüllt.“ Denke ich an mein Arbeitsfeld – die Arbeit mit Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung –, was erwarten denn die anderen von mir? Und ich spreche hier weniger von meinem Arbeitgeber oder meinen Arbeitskolleginnen und –kollegen, sondern mehr von der Gesellschaft als solches.
Was sind denn die Erwartungen der Gesellschaft an Sozialarbeitende? Und wie misst man den Erfolg, den man doch im Berufsleben bringen muss oder soll? Ist es ein Erfolg, wenn eine betroffene Person nie mehr in die psychiatrische Klinik eintritt? Oder ist es ein Erfolg, wenn sie dies nur noch 2x im Jahr muss? Ist es ein Erfolg, wenn betroffene Personen wieder im 1. Arbeitsmarkt Fuss fassen, oder ist es ein Erfolg, wenn sie halbtags in einem geschützten Rahmen arbeiten?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich noch viele solche Fragen aufwerfen könnte – im Rahmen der Länge dieses Beitrages lasse ich dies jedoch nun sein.
Ich wünsche der Gesellschaft, Ihnen, mir, uns, dass es bei unseren Vorsätzen – wenn wir sie schon fassen – nicht nur darum gehen soll, DASS etwas geändert werden soll, sondern dass wir auch der Fragen nachgehen, WARUM es von Bedeutung ist, dass etwas geändert WIRD.
Warum ist es von Bedeutung, dass Menschen mit einer psychischen Erkrankung genug Zeit haben, um wieder Fuss zu fassen? Sei dies im 1. Arbeitsmarkt oder im geschützten Rahmen. Warum kann es beispielsweise wichtig sein, „Erfolg“ anders zu gewichten – je nach Arbeitsfeld? Und ist es überhaupt immer wichtig, wie hoch oder gross oder rentabel der Erfolg an sich ist? Gibt es gute Gründe, keine profit-orientierten Erfolge anzustreben? Und was wäre der Nutzen davon?
Und ganz nebenbei bemerkt: wie messen wir Sozialarbeitenden denn unseren Erfolg? Wenn unsere Klientinnen und Klienten wieder im 1. Arbeitsmarkt arbeiten? Ich denke, wir müssen unseren Erfolgs-Zähler anders einstellen und gewichten – und die Gesellschaft daran teilhaben lassen, in dem wir uns melden, mitreden, uns zeigen und von unserem Alltag erzählen! Und wir vorleben, warum es wichtig ist, dass etwas geändert wird. Beispielsweise in der Wahrnehmung unseres Berufes. Oder vom Bild, das leider noch heute in den Köpfen vieler Menschen umhergeistert, in Bezug auf unsere Arbeit.
Und für das haben wir nun knapp 365 Tage Zeit.
„Wir können den Wind nicht ändern, aber wir können die Segel richtig setzen.“ – Aristoteles, griechischer Philosoph
Karin Morgenthaler
2 Kommentare zu „Die Erwartungen der Gesellschaft an Sozialarbeitende“
Liebe Karin, danke für deine Fragen, die uns Sozialarbeitenden immer wieder in dieser oder anderer Form beschäftigen. Wie du schreibst, ist es wichtig, zu hinterfragen und diese Gedanken in die Gesellschaft zu tragen um einen Diskurs anzuregen und mitzugestalten! Christa