Leben im Hier und Jetzt

Karin Morgenthaler, Sozialarbeiterin,  Mama, Bloggerin, …

Manchmal sitze ich in meinem Lieblingscafé, lasse mich inspirieren von den Menschen oder der Umgebung oder einfach dem wundervollen Geschmack von frisch geröstetem Kaffee und schreibe dann den nächsten Blogbeitrag. Genau wie heute. Das Thema, ich weiss es schon länger. Und doch schreibe ich nun über etwas Anderes. Denn neben mir am Tisch sitzen zwei alte Damen, die sich heute treffen.

Beide sind hübsch zurechtgemacht, gepflegt, mit einem Hauch Parfum. Jenem Parfum, das mich an meine Grossmutter erinnert. Schwer, und doch leicht. Ich habe es noch nie in einer Parfümerie gerochen. Vielleicht gibt’s diesen Duft nur in Einkaufsläden, die man nur betreten darf mit Jahrgang 1940 oder älter. Das Pendant zu Clubs halt. «Entschuldigen Sie, Sie sind Jahrgang 1941, das geht nicht. Versuchen Sie’s nächstes Jahr nochmals.» Ich schweife ab.

Ich schweife ab, weil das Thema, das die beiden Damen besprechen, schwer ist. Und mürbe.

Frau B. hat Krebs. Frau K. erkundigt sich intensiv nach Frau B.’s Befinden und es scheint, als hätte sie keine Mühe oder Angst, auch heikle Themen – noch heiklere Themen – anzusprechen.

Und so fragt Frau K. unverblümt, ob ihre Freundin überhaupt noch leben möchte.

Ja, das wolle sie, antwortet Frau B. und nimmt einen Schluck aus der Kaffeetasse. «Aber nicht so», ergänzt sie und zeigt an sich herunter. Schweigend nickt Frau K.

Frau B. nimmt einen tiefen Atemzug und führt weiter aus. Dass sie natürlich noch gerne miterleben würde, wie ihre Enkel das Studium abschliessen nächstes Jahr. Und wie Mitte nächstes Jahr ihr erstes Urenkelchen auf die Welt kommt. «Aber», schliesst sie ab, «nicht so. Wirklich nicht.»

Ich schaue betreten auf meinen Bildschirm.

Ich merke, dass ich gerade vieles vom Gespräch der beiden Freundinnen verpasst habe. Ich war wohl in meiner eigenen Welt, ging meinen eigenen Gedanken nach.

Und doch holt mich die Verabschiedung am Nebentisch wieder ins Jetzt zurück. Frau B. geht nämlich nach Hause. Müde ist sie. Ob sie sich nächste Woche wieder sehen? Sie hoffe es, meint Frau B.

«Gell, meine Liebe», sagt Frau B., welche Frau K. herzlich umarmt, und dann ganz still in dieser Umarmung wird. «Auch wenn ich euch alle, alle meine Liebsten von oben beobachten werde, sollte man schon, wenn man lebt, so oft wie möglich bei den Liebsten sein. Was nützt es, im Tod da zu sein, zu Lebzeiten jedoch nicht?»

«Ein Abschied verleitet immer dazu, etwas zu sagen, was man sonst nicht ausgesprochen hätte.» – Michel de Montaigne, französischer Jurist und Philosoph

1 Kommentar zu „Leben im Hier und Jetzt“

  1. liebi karin, din text het mi berüehrt und träne sin an vordester front. ich wünsch mier und allne lüt dass sie im hier und jetzt läbe chön und nüt unusgsproche lön. danke viel mol für din blog

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