Woche 21: Spannende Schilderung aus einem entfernten und doch so nahen Kultur- und Lebensraum und die markanten Unterschiede, wie Soziale Arbeit verstanden und umgesetzt wird.
Ivo Reich formulierte vor der Studienreise in die Türkei ganz klare Erwartungen: vor allem die beiden Aspekte – die Auseinandersetzung mit sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit und das Erfahren sozialer Brennpunkte – setzten ihn schon vor Antritt der Reise in eine neugierige Erwartungshaltung. Er erhoffte sich, seinen Blick zu schärfen, Erkenntnisse zu gewinnen, im Hinblick darauf, wie sich die politischen und kulturellen Rahmenbedingungen auswirken und anfühlen.
Er fragt sich im Vorfeld, welche Bilder aus dieser anderen Kultur einerseits vermittelt werden und welche Bilder tatsächlich wahrgenommen werden können.
Nun ist Ivo zurück, mit vielen Wahrnehmungen, vielen Themen, die zum Nachdenken und Verarbeiten anregen, er wirkt fast etwas überflutet von all diesen Eindrücken.
Er zählt einige Aspekte auf, die ihm nachhaltig als Eindruck geblieben sind:
- Die Gastfreundschaft, von der wir Schweizer/innen noch viel lernen könnten;
- Den Konflikt zwischen Kurden und den Türken: die mit eigenen Augen und Ohren wahrgenommene Eskalation, den Bombenanschlag
- Die staatlichen Übergriffe auf Minderheiten, welche sichtbar werden, indem die Bevölkerung vom Land in die Stadt vertreiben wird, herausgerissen aus ihrem Lebens- und Arbeitsfeld, was zu Arbeitslosigkeit, Armut, Hoffnungslosigkeit für die betroffenen Menschen führt.
- Krasse Widersprüche, Kontraste, zum Beispiel: auf der einen Seite Esel als Transportmittel, auf der anderen Seite der BMW als Statusobjekt…
- Die Revision von Vorurteilen gegenüber Rollen-Klischees (vor allem gegenüber der Rolle von Frauen)
Wenn Ivo seine Eindrücke verarbeitet und gebündelt hat, kann er sich dadurch neue Blickwinkel auf neues Wissen eröffnen: er kann sein Beobachtungs –, sein Erklärungs- und Begründungswissen mit seinem Wertewissen in Verbindung setzen (vgl. Hiltrud von Spiegel, (2008), Methodisches Handeln in der Sozialen Arbeit, UTB):
Die Gewinnung wissenschaftlichen Wissens verläuft in Phasen: zunächst wird der Gegenstandsbereich beschrieben: dies hat Ivo getan, indem er die relevanten Themen – siehe oben – aus einer Fülle von anderen Themen heraussortiert hat, zum Beispiel mit der Frage: was genau ist zu beobachten?
Dann strukturiert man die Erfassung des Phänomens mit Hilfe von Beobachtungskategorien (hier zum Beispiel: Machtverhältnisse, Wertekategorien, unterschiedliche moralische Wertmassstäbe).
Aus den auf diese Weise zusammengetragenen Daten werden Zusammenhänge formuliert. Mit dem „Erklärungs- und Begründungswissen“ werden durch eigene Beobachtung gewonnene Erkenntnisse mittels fachlich angeeigneten Wissens in Verbindung gesetzt. Die Soziale Arbeit profitiert dabei von der Theorieproduktion vieler Bezugsdisziplinen.
Das Wertewissen, der eigenen Werte als persönliche Sinn- und Bewertungskonstruktion dient dabei als Reflexionsrahmen.
Dieser Einbezug verschiedener Wissensbestände sollte im Rahmen der Ausbildung zu einer Erweiterung und nachhaltigen Verknüpfung der fachlichen Kompetenzen führen. Da sich die Themen in der Sozialen Arbeit immer wieder in neuen Konstellationen, immer wieder als neue Phänomene zeigen – was Ivo nun schon oft aufgezeigt hat – muss eine Fachperson immer in einem autonomen Akt wissenschaftliche Aussagen in Kenntnis ihres Entstehungszusammenhangens und ihrer Reichweite kontextspezifisch einsetzen (vgl. Von Spiegel, S. 66).
Ivo Reich wird sich im Rahmen seiner Ausbildung und seiner beruflichen Tätigkeit im Betula noch mit manchen Ansätzen zu Erklärungs- und Begründungswissen und den Schnittstellen zu anderen Wissensbeständen auseinandersetzen dürfen, zum Beispiel:
- Die Gastfreundschaft, von der wir Schweizer/innen noch viel lernen könnten; Wertewissen, Fach- und Methodenwissen miteinander verbinden, „Lernziel Solidarität“.
- Den Konflikt zwischen Kurden und den Türken: die mit eigenen Augen und Ohren wahrgenommene Eskalation: Globalisierung, Modernisierung und Soziale Ungleichheit als Bedingungen der Sozialen Arbeit.
- Die staatlichen Übergriffe auf Minderheiten, welche sichtbar werden, indem die Bevölkerung vom Land in die Stadt vertreiben wird, herausgerissen aus ihrem Lebens- und Arbeitsfeld, was zu Arbeitslosigkeit, Armut, Hoffnungslosigkeit für die betroffenen Menschen führt: Soziale Arbeit im Spannungsfeld von Recht und Gerechtigkeit, Sozialstaat und Sozialwirtschaft; Sozialraumarbeit, Bildung und Erziehung in sozialräumlicher Perspektive.
- Krasse Widersprüche, Kontraste, zum Beispiel: auf der einen Seite Esel als Transportmittel, auf der anderen Seite der BMW als Statusobjekt… : Macht – und Veränderungsprozesse in gesellschaftlichen Problemfeldern.
- Die Revision von Vorurteilen gegenüber Rollen-Klischees (vor allem gegenüber der Rolle von Frauen): Entwicklungsprozesse von Individuen in ihren sozialen Bezügen, reflexive professionelle Haltungen schärfen / entwickeln.
Es gibt noch viel zu tun! Ich freue mich darauf!
Rosmarie Arnold, Dozentin FHS