48/52: Wochen(ein)blick. Was passiert in einer Woche? Ivo Reich gewährt über eine Woche einen konkreten Einblick in Geschehnisse und Erlebtes.
Um diesen Blog zu schreiben, habe ich etwas tiefer in meinem Fundus gegraben. Bei mir hat sich beim Betrachten dieses Clips das Bild von „Grenzen der Planbarkeit* eingestellt; von Dürrenmatt soll der Ausspruch stammen „Je besser man plant, desto wirksamer trifft einen der Zufall“. Ich habe mir zu diesem Zitat immer ein Phänomen bezüglich „Aufmerksamkeit“ vorgestellt: wenn man plant, richtet man seinen Blick auf das Ziel, das Ergebnis. Das muss so sein, weil man dadurch die Richtung im Blick behält (wie heisst doch das chinesische Sprichwort: „Wo kein Ziel ist, sind alle Wege richtig…“). Andererseits handelt man sich mit diesem gerichteten Blick nach vorne ein paar begleitende Probleme ein:
Die „Chaos-Forschung“ liefert ein paar ganz griffige Erkenntnisse, welche für das Verstehen und die Gestaltung des professionellen Alltags hilfreich sind, zum Beispiel: bei der Analyse von Prozessen haben wir es immer mit dem „Spannungsfeld zwischen Erwartung / Prognose und dem tatsächlichen Eintritt einer Situation“ zu tun; Ivo lässt uns am Morgen, bzw. zu Beginn der Woche, Teil haben zuerst an seinen Erwartungen und Hoffnungen – am Abend bzw. am Schluss der Woche an seiner Bilanz, dem erlebten Ergebnis. Wir erleben ihn auch optisch – zu Beginn der Woche, bzw. zu Beginn eines Tages lebendig, neugierig, gespannt – am Abend oft müde, ab und zu etwas gestresst, aber grundsätzlich recht zufrieden.
Bei der Analyse und der Gestaltung von Prozessen fällt oft der Begriff Komplexität, bzw. die Frage, wie und ob man Komplexität managen / gestalten kann?
Unter Komplexität versteht man theoretisch die Strukturenvielfalt eines Systems, die Anzahl und die Artverschiedenheit der Beziehungen, bezogen auf die Zahl der Elemente, sowie die Vielfalt des strukturellen Aufbaus eines Systems.
Mit wachsender Komplexität eines Systems erhöht sich die Chance von Problemen / Konflikten, gerade durch die Komplexität aber auch die Chance seines Wandels, seine Fähigkeit zu lernen und variable Anpassungsleistungen hervorzubringen.
Auf der Beobachtungsachse eines Prozesses können bezüglich Komplexität verschiedene Linien beobachtet werden: (vgl. H. Willke, Systemtheorie, UTB 1987, S. 61ff)
Die soziale Komplexität:
Personen in Interaktionszusammenhängen entwickeln zur Erleichterung der Kommunikation Gewohnheiten, Regeln, gemeinsame Vorverständnisse und Orientierungen und damit Ansätze einer Struktur. Die Beziehungen drohen bald unüberschaubar zu werden, weil Personen immer als ganze Personen relevant sind. Um diese Komplexität zu reduzieren, werden sich unterschiedliche Rollen herausdifferenzieren und es wird sich eine interne Form der Arbeitsteilung einspielen, „Systeme lösen das Problem sozialer Komplexität mit funktionaler Binnendifferenzierung“ (H. Willke, Systemtheorie, UTB 1987, S. 63)
Die zeitliche Komplexität:
Zeit ist ein Konstrukt des einzelnen Menschen: Die eigene Lebenserwartung, gestützt auf eine durchschnittliche Lebenserwartung und die Position innerhalb einer ebenfalls konstruierten Zeitachse wird als Massstab angesetzt um Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu bestimmen. (Willke spricht hier von der “Reduktion frei fliessender Weltzeit auf prozessual synchronisierte Systemzeit“)
Die operative Komplexität = Menschen sind grundsätzlich „frei“ in der Autonomie ihrer Zielsetzung:
Hoch entwickelte Systeme (wie der menschliche Organismus, die Gesellschaft…) sind in der Lage, aufgrund interner funktionaler Differenzierung aus sich heraus Handlungsziele zu bilden.
Die kognitive Komplexität:
Sie beinhaltet die individuell zugeteilten bzw. entwickelten Kompetenzen – z.B. wie Menschen ihre Wahrnehmung einsetzen und differenzieren, wie sie autonom umgehen mit Informationen.
Was aus dieser Vielschichtigkeit der Komplexität von Prozessen resultiert, klingt vielleicht banal, macht aber unseren professionellen Alltag so spannend. Ivo zeigt es uns, die Theorie bestätigt es: soziale Prozesse sind immer nichtlinear – und deshalb prinzipiell nicht prognostizierbar. Die Konsequenz heisst daher, jede neue Situation, jede neue Konstellation, jeden Menschen, jede Gruppe, neu ins Auge zu nehmen und (mit meiner nun schon oft zitierten) Haltung des Nichtwissens, der Neugier zu beobachten und zu gestalten – im Wissen darum, so die Chaos-Forschung:
In komplexen, nichtlinearen rückgekoppelten Systemen existieren Chaos und Ordnung nebeneinander.
Rosmarie Arnold, Dozentin FHS