Theorie gibt bestenfalls Sicherheit, Machen ist jedoch ein anderes Paar Schuhe

Karin Morgenthaler, Sozialarbeiterin,  Mama, Bloggerin, …

Die drei Fachhochschulen St. Gallen, Rapperswil und Buchs schliessen sich demnächst zusammen. Es wird fusioniert, nicht nur in der Wirtschaft, sondern eben auch in der Bildung. Und ein Name ist ebenfalls schon bekannt: Ost – Ostschweizer Fachhochschule. Nein, ich habe mich nicht verschrieben, das stimmt schon so.

Wie bei grösseren oder grossen Fusionen gängig, gibt es auch in der Bildungsfusion schon bekannte Abgänge, und es werden sicherlich noch mehr. Und Abgänge werden in der Regel wieder «ersetzt». Meist mit sehr professionellem, gut ausgebildetem Personal.

Denke ich so darüber nach, graut es mir zugegebenermassen etwas davor. Nicht unbedingt für mich persönlich, jedoch für die angehenden Studierenden der Sozialen Arbeit. Weil schwarz malerisch wie ich manchmal bin, befürchte ich, dass allfällige neue Dozentinnen und Dozenten nur nach Titeln ausgesucht werden, als auf Grund ihrer Berufs- und Praxiserfahrung.  Doktortitel vor Praktik, ist ein Trend und macht sicherlich auch vor der Ost-Ostschweiz nicht Halt.

Erinnere ich mich an mein Studium zurück, fand ich natürlich die Theorie spannend. Sehr sogar. Noch interessanter jedoch waren Erfahrungsberichte aus der Praxis. Und in meiner eigenen Laufbahn habe ich schnell festgestellt: Theorie ist gut, nützt – manchmal – in der Praxis jedoch herzlich wenig. Theorie gibt bestenfalls Sicherheit, Machen ist jedoch ein anderes Paar Schuhe.

Ein Fallbeispiel aus dem Studium ist mir in extrem präsenter Erinnerung und ich denke, vieles von meinem alltäglichen Handeln habe ich daran aufgehängt.

Das Beispiel war, dass wir in einem Heim für Menschen mit einer geistigen Behinderung arbeiten. Nun kommen zwei Bewohnende und eröffnen, sie hätten sich ineinander verliebt. Was sagen / tun wir?

Nun, die Antworten aus dem Plenum kamen wie aus der Pistole geschossen: «Eltern und/oder Beistand informieren!», «Verhütung??», «Wie lange geht das schon mit euch zwei?», «Traktandum aufnehmen in Teamsitzung». Und so weiter und so fort. Der Professor, der vorne stand, hat alles abgenickt. Als irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, keine Meldungen mehr aus dem Plenum kamen, hat er gesagt, das sei alles schön und gut. Er hätte jedoch noch eine andere Idee. Nämlich: „Hey, so schön, ich gratuliere euch, ich freu mich für euch!“.  Natürlich! Klar, nicht ganz vergleichbar, aber wenn mir eine Freundin erzählt, sie sei ganz fest verliebt, frage ich auch nicht grad nach der Verhütung. Sondern ich freue mich einfach mit ihr, möchte wissen, wie sie zusammen gekommen sind und so weiter.

Für mich ist das, genau das, Verknüpfung von Praxis in der manchmal verstaubten Praxis. Und ganz ehrlich, ich hoffe, es werden nicht reine «Theoretiker» unterrichten. Denn manchmal, ja manchmal ist ein einziges Beispiel ein einschneidendes Erlebnis für die gesamte (bisherige) Laufbahn.

«Die Theorie ist eine Vermutung mit Hochschulbildung.» – Jimmy Carter, 39. Präsident der Vereinigten Staaten

1 Kommentar zu „Theorie gibt bestenfalls Sicherheit, Machen ist jedoch ein anderes Paar Schuhe“

  1. Herzlichen Dank für diesen wunderbaren Text! Mit diesem Ansatz wird auch die Normierung vorangetrieben. Es ist ja wissenschaftlich erforscht und statistisch erhoben, was richtig ist. Zum Beispiel, dass einem Arbeitslosen mehr als 4,5 Stunden Freizeit nicht gut tun. Das habe ich heute gelesen. Doch welchen Einfluss soll das im Alltag eines Arbeitslosen haben? Wir werden immer mehr Menschen an entscheidenden Stellen haben, welche nie länger als ein paar Wochen selber in der Praxis waren. Nicht nur im Unterricht sondern auch bei den Ämtern. Ich bin für eine stärkere Verknüpfung und Durchdringung von Wissenschaft und Praxis. Das würde beiden Seiten gut tun. Überall, wo ich eine gleichwertige Begegnung erlebt habe, war es eine Bereicherung.

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