Avenir Social, der Dachverband der Sozialen Arbeit Schweiz, lancierte und lanciert immer noch eine Kampagne zur Ausbildung in der Sozialen Arbeit. Benötigt man in anderen Berufen eine entsprechende Ausbildung, um einen „Arbeitstitel“ zu tragen, ist dies in der Sozialen Arbeit nicht der Fall. Wir alle sind Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen.
von Karin Morgenthaler
„Moment, ich muss hier Google fragen, ob es sich nun um eine Blinddarmentzündung handelt oder eine Verstopfung.“ – Sagt kein Arzt.
„Ich muss mich schnell erkundigen, ob Sie nun weit- oder kurzsichtig sind.“ – Sagt kein Optiker.
„Ob Sie das Fleisch nun kräftig oder besser langsam anbraten, und ob es durch sein muss oder noch roh gegessen werden kann, das kann ich Ihnen nicht sagen.“ – Sagt kein Metzger.
„Ich überlege mir, ob eine engere Begleitung während dieser depressiven Phase Sinn macht, auch in Bezug auf die Therapieintervalle.“ – Sagen viele Sozialarbeitenden.
Natürlich, Sie haben Recht. Nur weil jemand keine Ausbildung auf dem entsprechenden Berufssegment hat, heisst das nicht, dass der- oder diejenige auch schlecht arbeitet. So haben Menschen mit einem „Gspüri“ und etwas Ahnung von beispielsweise psychischen Erkrankungen durchaus das „Zeug“, in einem Wohnheim zu arbeiten. Auch die Sache mit „wie wirken welche Medikamente“ können natürlich gelernt werden. Benötigt man dafür wirklich ein sozialarbeiterisches oder sozialpädagogisches Studium? Könnten hier nicht auch wieder Kosten eingespart werden, die – vielleicht – unnötig in die Höhe rasen mit all diesen Akademikern?
Natürlich können auch Menschen ohne Ausbildung eine Alltagsbegleitung sicherstellen – in meinem Fall in einem Wohnheim für psychisch Erkrankte. Und ich sage nicht, dass jene Menschen weniger gut sind in dem, was sie tun. Sie haben wahrscheinlich sogar viel mehr Berufserfahrung als ich und schon viel mehr erlebt. Und ich könnte wahrscheinlich viel von jenen lernen. Es geht mir auch gar nicht darum, jemanden höher oder tiefer zu stellen.
Es geht mir vielmehr darum aufzuzeigen, weshalb eine Ausbildung so wichtig ist – gerade, meiner Meinung nach, in diesem Berufsfeld.
In Krisensituationen sicher zu handeln, weil einem die Theorie in den Sinn kommt. Zu merken, wie sich eine psychotische Episode anbahnt und wie in diesem Fall reagiert werden sollte. Sich sicher zu fühlen in Bezug auf die Angehörigenarbeit. Zu wissen, wie wichtig die Kommunikation ist – auch hier mit der fundierten Theorie der Ausbildung im Kopf. Fragen zu Sozialamt, IV, dem Rechtssystem beantworten können. Natürlich nicht alle Fragen – jedoch zu wissen, wo ich mich erkundigen kann. Einen persönlichen Prozess „durchgemacht“ zu haben durch die 3 Jahre Studium mit immer wieder fordernden Arbeiten, Gruppenarbeiten, Vorträgen. Sich immer wieder neu finden zu müssen, da die Fragen, die zum Teil gestellt werden während eines solchen Studiums, sehr unangenehm werden können und man sich immer wieder neu positionieren muss – und somit Entwicklung geschieht. Berichte zeitnah in einer angemessenen Sprache zu schreiben – auch hier mit stundenlangen Vorlesungen und Aufgaben zum Thema „Schreiben“. Sich sicher im Umgang bezüglich Datenschutz zu fühlen.
Ich könnte noch mehr auflisten, möchte jedoch den Blog nicht sprengen – und auch nicht alles vorkauen 😉
Es geht mir wie gesagt nicht darum, wer „besser“ ist. Nein, es geht mir darum, als stolze Sozialarbeiterin, „meinen“ Berufsstand zu verteidigen und ihn nicht – wie manchmal spürbar – etwas klein zu machen. „Sozis“ halt oder „Birkenstockträger“ und „ist das überhaupt ein richtiges Studium?“, so teils Vorurteile. Doch es braucht nicht nur eine Akzeptanz in der Gesellschaft, nein. Es benötigt auch Sozialarbeitende und Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen, welche sich wehren. Laut werden, wenn etwas nicht passt. Sich melden und sich und ihrem Berufsstand auch etwas zutrauen. Sich wehren und selbstbewusst verteidigen, was sie machen. Denn haben wir nicht auch im Studium gelernt, welche Entwicklung die Soziale Arbeit in all den Jahren gemacht hat? Eben. Und doch: fertig sind wir doch noch lange nicht.
„Einen akademischen Titel kann man schnell bekommen, Erfahrung braucht Zeit.“ – Peter F. Drucker, amerikanischer Managementlehrer und Managementpublizist
2 Gedanken zu „Wir alle sind Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen.“
Dies ist eben der unterschied zwischen 1. und 3. arbeitsmarkt da wird eine ausbildung verlangt! Und im 3. arbeitsmarkt nicht umbedingt! Von wem will man sich operieren lassen von chirurg mit studium oder von self made studium ?? Ebe
Doch ich muss sagen du bist eine gute berufsfrau das sage ich nicht zum schleimen sondern du setzt dich mit der materie soziale arbeit kritisch auseinander! Genau solche frauen brauchts:-)
Ein Beitrag mit viel Herzblut geschrieben,… Super und das zeigt jedem auf wie sehr du in deine Beruf angekommen bist.