Sozialpädagoge in Ausbildung im Blickfeld einer Ausbildnerin 19 | 52

Woche 19: Ivo Reich gibt uns einen Ausblick auf eine Studienreise innerhalb seines Studiums. Es ist eine Reise an Brennpunkte unserer erweiterten Nachbarschaft und zu Sozialer Arbeit in einem anderen Kulturkreis…

Ivo Reich blickt erwartungsvoll auf die anstehende Studienreise in die Türkei;

Zwei Kernpunkte seiner Erwartung beziehen sich auf die Auseinandersetzung mit sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit und das Erfahren sozialer Brennpunkte.

Er erhofft sich, den Blick zu schärfen, Erkenntnisse zu gewinnen, im Hinblick darauf, wie sich die politischen und kulturellen Rahmenbedingungen auswirken und anfühlen.

Kernthema so einer Studienreise wird die Auseinandersetzung mit „Kultur“ sein – mit einer fremden, welche zwangsläufig immer wieder mit der eigenen verglichen wird (werden kann).

Dabei spielt die Erkenntnis  eine wichtige Rolle, dass Kultur nicht direkt beobachtbar ist –  sie ist aber entschlüsselbar mittels Reflexion, Beobachtung, Vergleich, Analyse. Entschlüsseln, analysieren und reflektieren lässt sie sich, verkürzt gesagt, anhand von Sprache (und Bildern, Mythen, Geschichten); sowie Interaktionen; und  „Objekten“ (oft auch bezeichnet als „Artefakte“ = Begriff von E. Schein, (1995) Unternehmenskultur. Campus)

Anthropologisch definiert umfasst der Begriff Kultur – Bräuche und Riten, die das Profil einer Gesellschaft im Laufe ihrer Entwicklung bilden; Kultur orientiert sich an bestimmten Werten und „Basisannahmen“ einer Gesellschaft und gibt Orientierung und ein gemeinsames Selbstverständnis.

Weil Kultur sich nicht bewusst und wissensgesteuert aneignen lässt, auch nicht direkt beobachtbar ist, wird sie (im Alltag) als selbstverständlich hingenommen, die kritische Reflexion ist nicht die Regel.

Ivo fragt sich, welche Bilder aus dieser anderen Kultur einerseits vermittelt werden und welche Bilder tatsächlich wahrgenommen werden können.

Dies ist eine ganz spannende Ausgangslage, weil sie uns zur Frage führt, was wir wahrnehmen, wissen können und was wir nicht wissen (können bzw. müssen). Gerade das Bewusstsein des „Nichtwissens“ eröffnet uns neue Suchfelder, um Wissen zu gewinnen. Insofern ist „Nichtwissen“ eine Ressource, eine Arbeitshaltung, welche uns befähigt, neues Wissen – neue Blickwinkel zu gewinnen. Eine nichtwissende Haltung kann somit der Anlass sein, respektvoll andere Welten zu erkennen und zu verstehen.

In der Auseinandersetzung mit fremden Kulturkreisen fällt es uns meist nicht schwer, die Unterschiede im Vergleich zur eigenen Kultur wahrzunehmen, weil Sprache (Bilder), Interaktionen und Objekte sich klar unterscheiden. Etwas schwieriger ist es oft, die „feinen“ Unterschiede zwischen unseren gelebten (und als selbstverständlich erlebten) Kulturen zu verstehen: die kulturellen Muster, die sich gebildet haben durch biografische, sozialisierende und enkulturierende Entwicklungen. Oft sind wir überzeugt,  dass wir von denselben Werten, derselben Überzeugung, Einstellung, usw. reden – und nehmen kaum wahr, wie sich Organisationskulturen, Familienkulturen usw. unterscheiden. Das kann in der Begegnung auch zu Missverständnissen führen, die sich erst klären lassen, wenn wir in unserem Umfeld „Kultur entschlüsseln“.

Ein weiterer Gesichtspunkt ist ebenso interessant: wenn man mit einem neugierigen, neuen Blick neue Blickwinkel eröffnet, muss man auch das „Entlernen“ üben: alte Überzeugungen aufgeben. Das ist oftmals die viel größere Herausforderung als das Lernen selber. Die Herausforderung dabei ist, einerseits die nicht hinterfragte Routine im Sinn von Orientierung und Vereinfachung des Alltags zu akzeptieren und zu nutzen – andererseits eine „kritische“ (=hinterfragende) Haltung zu entwickeln durch die Auseinandersetzung mit anderen Welten bzw. Kulturen. Das wünscht sich Ivo im Hinblick auf die Reise in die Türkei, daraus wird er neue Themen fürs Betula und auch sein privates Umfeld mitbringen, da bin ich sicher.

Um mich selber immer wieder selber an die Ressource des Nichtwissens zu erinnern, habe ich folgendes Zitat von Ambrose Bierce auf meinem Pult:

„Wissen nennen wir jenen kleinen Teil unserer Unwissenheit, den wir geordnet und klassifiziert haben.“

Rosmarie Arnold, Dozentin FHS

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