Filmen bis zum «Wahnsinn»

Sie waren ganz nah dran am Basler Filmpreis. Verdient hätten sie ihn für ihren Dokumentarfilm «Ein Stück Wahnsinn», ein 62minütiges Werk über ein Theaterprojekt mit psychisch kranken Menschen. Vier Monate haben die beiden Filmerinnen Gabriela Betschart und Anna Thommen die Gruppe begleitet. Sie hielten sich dabei diskret im Hintergrund, und doch scheinen sie ganz unmittelbar und nahe mitten im Geschehen zu stehen. «Theater zwischen den Welten», gegründet von der Agentur Psy-Promotion, konzipiert, initiiert und begleitet Projekte, die die gesellschaftliche und berufliche Integration psychisch beeinträchtigter Menschen zum Ziel haben. Die Beteiligten werden von Therapeuten und professionellen Theaterschaffenden angeleitet und unterstützt.

Berg-und-Tal-Fahrt

Drei Personen mit ganz unterschiedlichen Krankheitsverläufen stellten sich für die filmische Dokumentation zur Verfügung. Betschart und Thommen richteten ihren Fokus einerseits auf die Entwicklung des Theaterprojekts, anderseits auf die eine junge Frau und die zwei Männer. Da gab es, mit viel Beharrlichkeit und Ausdauer, Momente der Euphorie und der Selbstironie, dann aber auch welche besetzt von Zweifeln, emotionalen Beben und angstvollem Rückzug. Die beiden Filmerinnen gingen sehr einfühlsam vor; «Ein Stück Wahnsinn» ist ihr erster gemeinsamer langer Dokfilm.

Die in St. Gallen aufgewachsene Gabriela Betschart hatte die Graphikklasse an der Schule für Gestaltung in St. Gallen absolviert. Schon während dieser ersten Ausbildung machte sie erste «Gehversuche» mit der Videokamera, drehte ein «Filmli», wie sie sagt, über die Mühleggbahn und staunte darüber, wie viel differenzierter eine Geschichte mit bewegten Bildern und Mitteln wie Ton, Licht und Musik erzählt werden kann – verglichen mit der statisch-flächigen Graphik.

Den Dokfilm entdeckt

Während ihrer Anstellung in einem Zürcher Graphikatelier bestand sie die Prüfung für die Video-Fachklasse an der Hochschule Luzern, kam dort das erstemal in Berührung mit den Genres Dokumentar- und Experimentalfilm und schloss nach drei Studienjahren mit dem Bachelor ab. Bereits in dieser ersten selbständigen Abschlussarbeit (Regie, Kamera und Schnitt) beschäftigte sie sich mit dem Thema der psychischen Versehrtheit: «Bipolar» hiess ihr 13minütiges Werk, es handelte von einem Mann, Richard sein Name, der, im Film von einem Schauspieler dargestellt, von seinen «Reisen» erzählt, auf denen er eine seelisch intakte Landschaft suchte, die ihm selber abhanden gekommen war.

Nein, ganz Zufall sei es sicher nicht, dass sie sich gerade diesem schweren Thema widmete. Es habe in jener Zeit in ihrem näheren familiären Umfeld einen Fall von bipolarer Störung gegeben. «Ich wollte verstehen lernen, was in einem Menschen vorgeht, der sich selber verliert», sagt Betschart.

Der Film wurde an über zwanzig Kurzfilmfestivals eingeladen. Das gab Auftrieb und schaffte Selbstvertrauen. In der Folge liess sich Betschart von freien Filmproduktionen als Kamerafrau einbinden, so etwa in Valerie Gudenus’ Masterarbeit «Ma Na Sapna – a mothers dream» über Leihmütter in Indien. Der Film lief dieses Jahr an den Filmfestspielen in Nyon.

Dranbleiben ist wichtig

Sie habe viel dazugelernt, «und ich spürte doch, dass mir die vertiefte Kenntnis der Materie nach der eher breit angelegten Ausbildung in Luzern noch fehlte». An der Zürcher HdK absolvierte sie in der Folge zusätzlich ein Masterstudium in Kameraführung, das sie 2012 abschloss. Gemeinsam mit Anna Thommen, die das Schwerpunktfach Regie belegte, begleitete sie während zweier Jahre eine Integrationsklasse in Basel – und zusammen legten sie die Spur zu «Ein Stück Wahnsinn».

Dass es nun doch nicht zur Auszeichnung kam, bedeute weniger Enttäuschung als vielmehr die Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein. Der nächste Schritt sei nun, «Ein Stück Wahnsinn» unter die Leute, sprich ins Kino zu bringen und dazu beizutragen, dass das «Tabu der psychischen Erkrankung etwas gebrochen und öffentlich gezeigt wird». Die drei Protagonisten im Film würden – und das nicht ohne Humor – viel dazu beitragen.

Text: BRIGITTE SCHMID-GUGLER

Bild: Urs Bucher

 

Originaltext Tagblatt

 

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