Auf der anderen Seite des Tisches

Karin Morgenthaler, Sozialarbeiterin, Mama, Bloggerin, …

Praktisch bei jedem Vorstellungsgespräch geht es irgendwann um die Frage: «und was sind Ihre Schwächen?». Ja, zugegeben, erst wird man oft nach den Stärken gefragt. Doch grad darauf will man die Schwächen hören.

Ob die Frage überhaupt sinnvoll ist, darüber mag ich nicht nachdenken. Worüber ich aber nachdenken will, ist die Schwäche an sich.

Gerade in der heutigen Zeit mit all den sozialen Medien, wird Schwäche und Verletzlichkeit gestrichen und durch ein perfektes Bild ersetzt. Perfekte Fotos, perfekte Ferien, ein perfekt gezeichnetes Bild, ein perfekt zubereitetes Abendessen. Und so blenden wir aus, dass auch die Personen hinter den perfekten Bildern Fehler haben.

Doch wie ist es überhaupt so weit gekommen, dass «Schwächen» als schwach wahrgenommen werden, und man sie auf jeden Fall verstecken will?

Ich persönlich finde, wenn man offen ist, und zugibt: «das kann ich jetzt nicht so gut», dann ist das wunderbar ehrlich und sympathisch. Denn fehlerfrei ist niemand von uns, wirklich keiner.

Und nein, auch nicht Sozialarbeitende. Im Laufe meiner Arbeit habe ich das zwar oft «unterstellt» bekommen, im Stile von: «Ja ihr auf der anderen Seite des Tisches, ihr wisst doch alles.» Und ich kann da aus vollem Herzen, ganzer Überzeugung sagen: nein. Nein, ich nicht. Vielleicht gibt es solche, die alles wissen – ich bin keine davon. Und ehrlich? Ich bin froh, weiss ich nicht alles. Ich bin froh, kann ich nicht alles. Und ich bin froh, nicht perfekt zu sein.

Und ich glaube, zuzugeben nicht perfekt zu sein, nicht alles zu können und zu wissen, wäre ein Schritt in die richtige Richtung. Denn gibt man zu, etwas nicht zu können oder nicht zu wissen, verschwendet man nicht mehr so viel Energie, eine Illusion aufrecht zu erhalten, sondern hat mehr Zeit und Ausdauer für Anderes. Beispielsweise herauszuhören, was unser Gegenüber wirklich sagen möchte oder benötigt.

«Das Streben nach Vollkommenheit macht manchen Menschen vollkommen unerträglich.» – Pearl S. Buck, US-amerikanische Schriftstellerin

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