Da … die eigene Gesundheit nicht in Stein gemeisselt – die eigene Leistung nicht unendlich – die eigene Belastbarkeit nicht endlos ist.

Immer wieder dieses Wort „Leistungsgesellschaft“. Immer mehr haben wir zu viel zu tun. Unsere fortschrittliche, digitalisierte Welt zwingt uns, uns immer schneller zu bewegen und mehr zu leisten. Abschlüsse müssen gemacht, Verkäufe erledigt und Dokumente geschrieben werden. Wer keine Leistung bringt, landet, schneller als auf drei gezählt werden kann, auf dem Abstellgleis.

Von Karin Morgenthaler

Laut Statistik leidet jeder dritte erwerbstätige Mensch in der Schweiz unter Stress bei der Arbeit. Laut Untersuchungen sind die Folgen dieses Stresses Herzinfarkt und Burnout. Und wer von einem von beidem betroffen ist, muss sich zwangsläufig mit der eigenen Gesundheit – sei dies körperlich oder psychisch – auseinandersetzen. Muss sich damit abfinden, dass die eigene Gesundheit nicht in Stein gemeisselt, die eigene Leistung nicht unendlich, die eigene Belastbarkeit nicht endlos ist.

In all den Berichten, die ich auf die Schnelle gefunden habe, war die Rede von der Leistung im Beruf und im Berufsleben, welche die Menschen unter Stress und Druck setzt. Und rein gefühlsmässig war es eine Zeit lang so, dass jeder Person mit einem Herzinfarkt „unterstellt“ wurde, eben ein „Arbeitstier“ zu sein – ein fast schon ehrenvolles Prädikat. Die Diagnose „Burnout“ wird ebenfalls des Öfteren mit fast schon einer gewissen Ehrfurcht besprochen – man hat eben wahnsinnig viel Verantwortung und hat so viel gearbeitet, ja richtiggehend geackert. Ja, ich übertreibe. Dennoch verbinden viele Menschen diese Diagnosen mit Arbeit und der dortigen Leistung.

Was heisst denn eigentlich „Leistung bringen“? Wohl kaum, dass ich diese Leistung wie ein Paket irgendwohin bringe und dieses dann überreiche. Leistung erbringen assoziieren wir mit Arbeit und dem Beruf, der freien Wirtschaft und Büros und Fabrikhallen. Denke ich an mein Arbeitsfeld – die Arbeit mit psychisch erkrankten Erwachsenen in einem Wohnheim – wird von jenen rein „wirtschaftlich gesehen keine Leistung erbracht“. Ja – die wenigsten arbeiten im ersten Arbeitsmarkt. Das ist so. Erbringen sie somit keine Leistung? Ich sage klar und entschieden: nein! Vielleicht leisten sie sogar noch mehr, als wir uns vorstellen können.

Ist es nicht auch eine Leistung, mit einer diagnostizierten Depression umgehen zu können? Oder mit den Stimmen im Kopf so weit wie möglich klar zu kommen? Oder nur noch zwei, statt sechs Klinikeintritte pro Jahr aufzugleisen? Oder sich mit den eigenen Zwängen und Ängsten, die das Leben so sehr einschränken und bestimmen können, auseinander zu setzen?

Möglicherweise ist der Zeitpunkt (endlich) gekommen, an dem wir uns von der Vorstellung lösen müssen, Leistung auf das Berufsleben zu reduzieren. Möglicherweise müssen wir uns mehr denn je bewusst werden, dass Leistung ein weiter Begriff ist, dem wir unrecht tun würden, wenn wir ihn auf die Laufbahn beschränken. Und vielleicht ist heute der Tag, an dem wir uns alle auf die Schulter klopfen können, in Anbetracht dessen,was wir jeden Tag leisten. Wäsche waschen, kochen, uns bei Freunden melden, einkaufen, uns mal was Gutes tun, Rechnungen einzahlen oder auch mal Platz in der Strassenbahn für ältere Mitmenschen machen. Ja, auch dies sind Leistungen – nur werden sie als alltäglich und selbstverständlich betrachtet. Es gehört zur „Normalität“ – was auch immer das sein mag. Doch auch einmal die „normalen“ Dinge als Leistung betrachten und sich dessen bewusst werden, kann etwas Heilendes haben. Und wenn wir es zudem schaffen Brücken zu schlagen und den Begriff „Leistungsgesellschaft“ auszudehnen und von einer anderen Seite betrachten zu können, gelingt es vielleicht, auch die Leistung derer klarer zu sehen, welche eben diese Leistung ausserhalb des Berufes erbringen.

„Es gibt Wichtigeres im Leben, als beständig dessen Geschwindigkeit zu erhöhen.“ – Mahatma Gandhi, indischer Widerstandskämpfer

4 Kommentare zu „Da … die eigene Gesundheit nicht in Stein gemeisselt – die eigene Leistung nicht unendlich – die eigene Belastbarkeit nicht endlos ist.“

  1. Mein Zauberwort für 2017 lautet daher „Entschleunigung“.

    Und noch etwas, ich klinke mich einfach aus von Zeit zu Zeit,

    klappt immer besser & einfach toll,… (:

    1. Herzlichen Dank Ilona für diesen Kommentar. Dann wünsche ich dir, dass dir die Entschleunigung auch im 2017 gelingt und du daraus wieder Energie tanken kannst! Herzliche Grüsse, Karin

  2. Schön und gut ich sehe es ein ! Bin aber auch stolz arbeits leistung bringen zu können gerade wegen meiner krankheit! Aber ich entschleunige auch gerne! In letzter zeit war meine leistung gut zu meinem knie schauen! Es dauerte lange dass ich mich richtig darauf einlassen konnte da mir die leistung fehlte! Jetzt liegt für mich die leistung darin dass ich nicht operieren muss! Habe ich genug zu meiner gesundheit geleistet
    Severine

    1. Liebe Severine
      Herzlichen Dank für deinen Kommentar. Entschleunigen zu können und auf sich und die eigene Gesundheit zu schauen ist eine grandiose Leistung, die viel zu wenig anerkannt wird.
      Ich freue mich sehr wenn und dass es dir wieder besser geht und wünsche dir eine gute und schnelle Genesung!

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