Schicksalsgemeinschaft vor dem Gemüseregal

Karin Morgenthaler, Sozialarbeiterin,  Mama, Bloggerin, …

Ich war letztens an einem Musikfestival. Nein, ich schreibe jetzt keine Bandreviews oder wie das Festival organisiert wurde. Sondern ich schreibe über etwas, das mir dieses Jahr aufgefallen ist.

Nämlich: die kleinen Schicksalsgemeinschaften, die sich bilden. Und wie einfach es doch ist, mit anderen Menschen in Kontakt zu kommen.

Schicksalsgemeinschaften? Ja, Sie haben richtig gelesen. Ist der Magen leer, die Kehle trocken oder die Blase voll, macht man sich auf, um diesen Zustand zu ändern. Und, wie das an Festivals so der Fall ist, bedeutet das fast eine Stunde Beschäftigung. Man ist ja bei Weitem nicht alleine. Hunderte von anderen Menschen haben ebenfalls Hunger, Durst oder müssen aufs Klo.

Und da steht man also. Mal mehr, mal weniger gestresst, ob der langen Anstehschlange. Ehe man sich versieht, entfleucht einem ein kleiner oder ein wenig lauter Seufzer. Nicht dass dies helfen würde, dass die Schlange schneller kleiner wird. Doch fürs Seelenwohl ist so ein Seufzer alleweil heilsam. Und just in dem Moment, manchmal in der grössten Festivalnot – es stehen noch 50 weitere Menschen vor der Toilette – wird man daran erinnert, nicht alleine zu sein. Urplötzlich befindet man sich in einem erlauchten Kreis von Menschen, denen es ähnlich geht und die das auch zum Ausdruck bringen. Man kommt so schnell ins Gespräch, dass man gar nicht mehr weiss, wer jetzt angefangen hat zu reden. Ich? Oder der dort? Oder sie vor mir? Schlussendlich spielt das auch gar keine Rolle. Man findet zusammen bei einem kleinen gemeinsamen Nenner. Vor dem Essensstand, vor dem Getränkestand oder eben vor den mobilen WC. Und je näher das Ziel rückt, umso mehr wird man von einer fast unmöglich zu beschreibenden Wehmut gepackt, denn: sobald man selbst an der Reihe ist, wird sich diese zusammengewürfelte Gemeinschaft auflösen.

Als Trost könnte man die Tatsache sehen, dass sich immer wieder neue Gemeinschaften bilden. Und man sicherlich wieder so einfach ins Gespräch kommt.

Weshalb also, frage ich mich im Nachhinein, ist das miteinander Reden an einem Festival so einfach leicht, im Alltag jedoch manchmal so mürbe schwer?

Ich nehme mich da nicht aus. Bin ich am Einkaufen, und werde angesprochen, bin ich selten diejenige, die ein längeres Gespräch forciert. Warum? Ist es der Alltag, den es sonst durcheinanderwirbelt? Die Tatsache, dass ich nicht anstehen muss für mein Essen?

Ich habe mir nun vorgenommen, bei der nächsten Gelegenheit mitzumachen, mich einzulassen in die «Schicksalsgemeinschaft vor dem Gemüseregal» statt vor dem Klo.

«Für ein gutes Tischgespräch kommt es nicht so sehr darauf an, was sich auf dem Tisch, sondern was sich auf den Stühlen befindet.» – Walter Matthau, US-amerikanischer Schauspieler

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Betula-Newsletter

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter und wir informieren Sie über Themen, News und Veranstaltungen von Betula.

Einverständnis Datenschutzerklärung *
Nach oben scrollen
Scroll to Top