Vom Hinschauen und Wegsehen

Simon Schmid , Sozialpädagoge

Grenzverletzungen passieren täglich – sei dies auf persönlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene. Vieles, was derart oft vorkommt, würde man in gewissem Sinne als Normalität betrachten. Dies trifft jedoch auf grenzverletzendes Verhalten nicht zu, weil es uns in unserem Innersten trifft und uns Verletzungen zuführt, die nicht immer nach aussen sichtbar sind. So etwas kann und darf niemals die Normalität sein.

In unterschiedlichen Bereichen sind wir unterschiedlich sensibel. Es gehört zu unserem Menschsein dazu, dass wir bestimmte Angriffe besser und manche weniger gut abwehren oder einordnen können. Was für mich gilt, muss nicht für dich auch gelten – und umgekehrt. Daher ist umso wichtiger, dass individuelle Grenzen nicht hinterfragt, sondern respektiert werden. Ein «Nein» ist ein «Nein», ein «Stopp» ist ein «Stopp». Diese Art des respektvollen Umgangs ist überall dort gefragt, wo Menschen sich begegnen. Bei der Arbeit, im Zusammenleben, im Zug, beim Einkaufen – überall.

Wenn diese Grenzen nicht respektiert werden, ist dies ein Angriff auf unsere persönliche Integrität und Sensibilität, gar auf unsere Menschenwürde. Und diese ist, so schreibt es auch das Gesetz, unantastbar. Wenn also unsere Grenzen nicht nur ignoriert, sondern bewusst und gezielt verletzt werden, muss schnell gehandelt werden. Die langfristigen Folgen von emotionalen und/oder körperlichen Verletzungen können verheerend sein und uns in unseren Grundfesten erschüttern, weshalb man sich auf konstruktive Weise dagegen zur Wehr setzen muss.

Das kostet Kraft, welche nicht alle ohne Weiteres aufbringen können. Umso wichtiger scheint es da, Ansprechpersonen zu haben, die einem helfen können, sich zu wehren. Das klingt einfacher, als es in den meisten Fällen ist. Sich Hilfe zu holen kann als Zeichen der eigenen Schwäche betrachtet werden, was verbunden mit Schamgefühlen dazu führen kann, dass Opfer von struktureller, körperlicher oder emotionaler Gewalt nicht die Unterstützung erhalten, die sie eigentlich bräuchten. Dieser Ansatz ist wenig hilfreich. Vielmehr ist das Einfordern von Hilfe ein Akt der Selbstermächtigung und Selbstliebe. Jeder Mensch hat ein Recht darauf, respektvoll behandelt zu werden – auch wenn er oder sie selbst dies vielleicht anders sieht.

Nicht nur die Betroffenen selbst sind gefragt, sondern auch deren Umfeld. Das Beobachten und Ignorieren von Grenzverletzungen Anderen gegenüber trägt ebenfalls dazu bei, das Opfer der Angriffe nachhaltig zu schädigen. Deshalb kann man sich bei der Fachstelle Anäluege auch melden, ohne direkt betroffen zu sein – auch anonym.

Grenzverletzungen sind nie in Ordnung. Findet konstruktive Wege euch zu wehren und holt euch hierfür Unterstützung. Schützt euch und die Menschen um euch herum.

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