Grenzverletzungen

Karin Morgenthaler, Sozialarbeiterin, Mama, Bloggerin, …

Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im ÖV, sind etwas müde vom Tag und freuen sich, bis Sie zu Hause sind. Zu Hause möchten Sie gerne noch etwas lesen, dann das Abendessen kochen, essen und dann bald schlafen gehen. Der Tag war etwas anstrengend. Nicht weil Sie Stress hatten, sondern weil Sie so vieles gesehen haben, so vieles verarbeiten müssen.

Sie sitzen also da, auf Ihrem Platz, und lassen die Landschaft an Ihnen vorbeiziehen. Ab und an huscht Ihnen ein Lächeln über das Gesicht, weil Sie Kühe sehen oder weil eine Wolke eine lustige Form hat.

Und dann kommt jemand, kneift Sie ungefragt in die Backe, wuschelt Ihnen in Ihren Haaren herum und sagt zu Ihnen: «Naaaaa? Sie sind ja heute herzig angezogen, hat Ihnen Ihre Freundin die Kleider ausgesucht? Da hat sie aber genau Ihren Ton getroffen! Und wie schön ist es anzusehen, wie sie Lächeln, da geht grad mein Herz auf!»

Das fänden Sie komisch? Unangebracht? Übergriffig? Da würden Sie dieser Person aber die Meinung sagen? Oder würden Sie erstarrt zurückbleiben, weil die Person weitergezogen ist?

Die Frage lautet, warum wir das nicht möchten, dass uns wildfremde Menschen berühren, wir es aber unseren Kindern, Kleinkindern und Babies zumuten?

Ich frage mich, ab welchem Alter scheinbar «persönliche Grenzen» existieren. Ab 10 Jahren? Oder schon ab acht? Unter drei wahrscheinlich kaum – für die Kinder schon, für die Umwelt nicht. Weshalb ist berühren in Ordnung? Ohne die Mutter oder den Vater oder die Aufsichtspersonen zu fragen? Oder – am Besten – das Kind zu fragen? Und weshalb reicht nicht ein Lächeln und ein «Schwatz» – Warum muss es noch «handfest» sein?

Ja, ich fände die oben beschriebene Situation unangebracht. Meine persönliche Grenze wäre massiv überschritten worden. Weshalb also sollte ich meine Grenze wahren, die des Kindes jedoch nicht?

Und was für ein Signal senden wir denn aus, mit der Annahme, Kinder hätten noch keine persönlichen Grenzen, weil das kommt ja erst mit dem Einzug der Pubertät?

«Wer seine Grenzen kennt, ist schon ein halber Weiser» – John Galsworthy, englischer Erzähler und Dramatiker

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