Betula-Post (Jahresbericht 2020)

Standpunkt: Tagesgestaltung

Während der beiden Lockdowns wurde vielen Arbeitnehmerinnen schlagartig bewusst, wie zentral in ihrem Leben der Arbeitsplatz, die Kolleginnen und Kollegen und sogar der Arbeitsweg ist. Arbeitsdruck, Dichtestress oder ungeliebte Kolleginnen und Kollegen werden mit einer erstrebenswerten Normalität verbunden. Die Vermischung von Privat- und Arbeitswelt wurde für viele zur ungeliebten Folgeerscheinung der Pandemie. Die Spalten in den Illustrierten füllten sich mit Ratgebern, wie dieses Loch zu füllen ist oder wie dem Motivationsmangel im Homeoffice begegnet werden kann.

Ein Teil der im Betula lebenden Nutzerinnen kann keiner regelmässigen Arbeit nachgehen und es geht den Betreffenden damit nicht wirklich gut. Der Tag wird zur Nacht, das Bett zum Lebensmittelpunkt und virtuelle Welten werden zur Wirklichkeit.

Es stellt sich die Frage, wie sie sich von Personen unterscheiden, die sich mit den Anforderungen ans Homeoffice schwertun, denn letztlich geht es um Motivation, Eigeninitiative und vielleicht auch um Pflichtbewusstsein.

Arbeitshygieniker Marco de Micheli sagt dazu: «Im Kern bedeutet Motivation, den Menschen das zu geben, was sie sich von der Arbeit am meisten erhoffen. Je mehr man in der Lage ist, ihnen das zu geben, desto eher kann man von ihnen erwarten, was man sich wünscht: Produktivität, Qualität und Service.»

Wenn wir auf das Modell der Lösungsorientierung nach Shazer-Berg zurückgreifen, führen zusammengefasst die Elemente Selbstbestimmung, Problembewusstsein und Ressourcenfokussierung zur Steigerung der Motivation.

Und schliesslich weist das Zürcher Ressourcen Modell von Maja Storch mit dem Ansatz der Affektbilanz darauf hin, wie tragend bei Entscheidungen das Bauchgefühl über Erfolg oder Misserfolg ist.

Wir haben bei den Bewohnenden nachgefragt, die ihre Tage vor allem im Zimmer oder in ihrer Wohnung verbringen und dabei erfahren, dass sie jeweils am Gros der Erwartungen scheitern. Die Bedingungen der Arbeitsstellen an Präsenz, am geforderten Minimalpensum oder an erwarteter Verbindlichkeit können von ihnen nicht bewältigt werden. Wir setzen diese Rückmeldungen um, indem wir niederschwellige Angebote direkt in den Wohnangeboten oder für alle zusammengefasst im Angebot Egnacherweg oder im B TREFF entwickeln. Wir wollen uns auch zukünftig nach dem Grundsatz «Mach mehr von dem, was erfolgreich ist» entwickeln und unsere Angebote auf die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer ausrichten.

Ernährung als Trainingsfeld – Bewusstsein für die Lebenssituation wecken

Zur Unterstützung von Gesundheits- und Alltagskompetenzen bieten wir professionelle Ernährungsberatung an. Was wir essen, beeinflusst nicht bloss unser Äusseres, sondern auch unsere geistige Verfassung. Darum wecken wir Bewusstsein rund um die Ernährung. Im Zentrum stehen nebst Einzel- und Gruppen­beratungen auch das gemein­same Zubereiten bewusst ausgewählter Lebensmittel. Ein Sozialpädagoge mit einer Ausbildung als Ernährungsberater ist für Aktivitäten in diesem Bereich zuständig.

Finanzierung über IBB: Was soll aus uns werden?

Die subjektorientierte Finanzierung über IBB verlangt eine Fokussierung auf die persönlichen und individuellen Leistungen und auf Einzelbetreuung. So erbrachte Betreuungsleistungen lassen sich abbilden und werden entsprechend finanziell honoriert.
Zeitgemässe sozialpsychiatrische Konzepte gehen diametral in eine andere Richtung. Recovery, Netzwerkgespräche, Hilfe zur Selbsthilfe, Peer to Peer, Sozialraumarbeit, die Umsetzung von Erwartungen aus der UN BRK und nicht zu vergessen die Ansprüche der Nutzer*innen an ihre sozialpsychiatrische Versorgung sind Themen im Betula-Alltag und in unserer fachlichen Ausrichtung.
IBB benötigt aus unserer Sicht dringend eine umfassende Revision. Es darf nicht sein, dass die sozialpsychiatrische Versorgung finanzierungsmässig auf dem Stand der 70er-Jahre stehen bleibt.

Entstigmatisierung in der Praxis – Sprache schafft Wirklichkeit

Wir wissen, dass Sprache Wirklichkeit schafft und dass sprachliche Zuschreibungen auch einen stigmatisierenden Effekt mit sich bringen. So haben wir über Jahre unseren Standorten und Bereichen Funktions- und Übernamen gegeben, wie zum Beispiel WG Tilia, Tagesstätte Ilex, Wohnheim und Betreutes Wohnen.
Wir haben uns überlegt, wie die Benennung der Standorte aus Sicht der Menschen, die bei uns leben und arbeiten, lauten müsste, damit es der Entstigmatisierungsidee nachkommt.
So sind neue Ideen, die Standorte zu bezeichnen, entstanden. Wir haben festgelegt, dass die Standorte und Bereiche so aufzuführen sind, dass via Strassenname auch die Bereichszugehörigkeit abzulesen ist.
So kann ein Angehöriger nun ausführen, dass er an der Kindergartenstrasse wohnt und am Egnacherweg arbeitet. In dieser Logik entstand aus dem Wohnheim die Wohnadresse Kindergartenstrasse. Wir folgen damit auch einem inklusiven Ansatz aus der Arbeit mit und im Sozialraum.

Betreutes Wohnen Plus etabliert sich

Im Jahr 2020 konnten wir weitere Wohnungen im Konsumhof mieten und das Angebot des Betreuten Wohnens Plus weiter ausbauen. Im Konsumhof verfügen wir über hindernisfreie, zentral gelegene Wohnungen mit der Möglichkeit für eine enge Anbindung an eine private Spitex-Organisation. Hier sind die Anwesenheitszeiten der Betreuer*innen umfassender als im Betreuten Einzelwohnen.
Die Bewohnenden, welche in das neue Angebot wechselten, äussern sich als mit der Wohnqualität und den erweiterten Unterstützungsmöglichkeiten sehr zufrieden. Oft fiel der Umzug aus der bisherigen Wohnung schwer, heisst es doch Abschied zu nehmen von einem vertrauten Umfeld. Doch die Perspektive, auch im Alter oder mit körperlichen Einschränkungen so lange wie möglich selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden wohnen zu können, wiegt stärker.
Die im Konsumhof angemietete Gemeinschafts- und Bürowohnung wurde dabei zum Dreh- und Angelpunkt, in der sich Bewohnende mit den Betreuungspersonen treffen und – vielleicht fast noch wichtiger – sich untereinander austauschen und unterstützen.

Einblick in die Cantina

Die Arbeitsplätze in der Cantina an der Kindergartenstrasse sind seit Jahren ein beliebtes Angebot der Betula-Tagesbetreuung. Zusammen mit dem Küchenchef finden drei betreute Mitarbeiterinnen die Möglichkeit, ihre Gäste von Montag bis Freitag zu begeistern. Neben der Leidenschaft fürs Kochen zählt hier vor allem auch der Dienstleistungsgedanke. Die Belegschaft unter der Leitung von Luca hat es geschafft, der Cantina ein ganz eigenes Flair zu geben. Es ist ein Ort an dem sich Bewohnerinnen und Mitarbeitende gerne treffen, unterhalten und geniessen.
Es ist sehr wichtig, dass die Cantina auch während der Pandemie offenbleibt und damit, natürlich unter strengen Auflagen, ein Stück Normalität aufrechterhalten bleiben kann.

B TREFF: Ein Treffpunkt an der Bahnhofstrasse

Mit dem im Dezember 2020 eingeweihten B TREFF haben wir einen Ort der Begegnung, der Tagesgestaltung und ein Zentrum für Betula geschaffen. Der vordere Teil des ehemaligen Ladenlokals an der Bahnhofstrasse 30
ist für alle Bewohnerinnen und Bewohner und für die Mitarbeitenden frei zugänglich und frei nutzbar. Es ist ­möglich, dass sich Bewohnende unter sich treffen, zusammen etwas kochen oder auch nur einen Kaffee oder Tee trinken. In den Räumlichkeiten finden zahlreiche Besprechungen und Betreuungsangebote des Betreuten Einzelwohnens statt. Den hinteren Teil haben wir für den Standort Betreutes Einzelwohnen Bahnhofstrasse und für Dienste eingerichtet.

Wir sind froh, dass sich die Lage des B TREFF mitten im Lebensraum Romanshorn befindet und unserer Idee des MITTENDRIN und DABEI sehr entspricht.

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