Betula-Post (Jahresbericht 2021)

«Nichts überzeugt einen Menschen mehr als eine Lösung, die er selbst gefunden hat.»

Betula und das lösungsorientierte Modell

Seit 15 Jahren richten wir das agogische ­Handeln im Betula an den Grundsätzen des lösungsorien­tierten Modells nach Shazer-Berg aus. Wir sind in den Jahren an Erfahrungen und Erkenntnissen gewachsen und haben darauf aufbauend unsere agogische Haltung mit den Grundsätzen von Re­­covery und der personenbezogenen Sozialraumorientierung weiterentwickelt.

Im Grundverständnis geht es aber immer noch darum, unsere Klientinnen und Klienten konsequent in ihrer individuellen Lösungsfindung zu unterstützen. Nur drei Fragen sind wegleitend:

  • Was will das Gegenüber?
  • Was kann das Gegenüber tun?
  • Was ist der nächste Schritt?

Diese Haltung verlangt von uns Fachleuten, dass wir uns in einer konsequent unwissenden Position befinden. Statt Ratschläge erteilen sorgfältig zuhören. Lösungsorientierung heisst für uns, das Gegenüber als Expertin oder Experten für den jeweiligen individuellen Lösungsweg zu sehen und dabei unterstützend anzuregen.

Unsere Bewohnerinnen und Bewohner nehmen ­dieses Angebot der Zusammenarbeit dankbar an und nutzen es erfolgreich für ihre persönlichen Entwick­lungen.

Die beschriebenen konzeptionellen Eckpunkte des Betula sind im agogischen Alltag präsent, werden gelebt, geschätzt und manchmal auch eingefordert.

Manchmal fällt es Angehörigen, externen Stellen oder Arbeitgebenden schwer, die oben be­schrie­be­nen Haltungen als fachliche und hilfreiche Positionierung anzunehmen und zu akzeptieren, dass wir ungewolltes oder schädliches Verhalten nicht einfach unterbinden können. Fragen oder Rückmeldungen klären wir am liebsten mit allen Beteiligten. Jede Reflexion ist hilfreich, wenn durch sie das Gegenüber ermuntert wird, nächste Schritte zu gehen.

Treffend formulieren die hilfreiche innere Haltung Simone Tschopp und Georges Rechberger: «Das (permanente) Ändern zu leben, ist wichtiger, als das Leben zu ändern.»


Den Zugang zu Klienten und Klientinnen über ihre Bedürfnisse zu suchen und nicht von Diagnosen abzuleiten, ist und bleibt ein wesentlicher Erfolgsfaktor im Alltag des Betula.

Was soll handlungsleitend sein? Bedürfnisse oder Diagnose?

Andreas Knuf, Psychotherapeut und Verfasser recoveryorientierter Fachliteratur, vertritt die Meinung, Gefühle seien aus verschiedenen Gründen für den Gesundungsprozess zentral. Der Umgang mit Gefühlen entscheide darüber, ob es zu einer erneuten Krise komme.

Untersuchungen zeigen gemäss Knuf unmissverständlich auf, dass ein ungünstiger Umgangsstil nicht nur eine Krise begünstigen kann, diese aufrechterhalten kann oder die Gefahr einer erneuten Krise begünstigt.

Jede psychische Erkrankung habe ihre eigenen Emotionen, etwa die starke Wut bei von Borderline Betroffenen oder die paranoide Angst bei Menschen mit Psychose. In Genesungsprozessen sei der Zugang zu den Gefühlen ein zentraler Faktor. Etwa, wenn sich eine Person für die Erkrankung schämt, sich in der Folge zurückzieht und als Konsequenz daraus Sozialraumpartner*innen verliert.

Berücksichtigen wir die Ausführungen von ­Andreas Knuf, muss sich unser sozialpsychiatrisches Han­deln der grossen Bedeutung von Gefühlen zuwenden und die Betroffenen darin unterstützen, Gefühle zu ertragen und mit ihnen umzugehen. Knuf erinnert daran, dass sozialpsychiatrische Insti­tutionen für Konzepte der Antistigmatisierung verantwortlich seien ebenso wie für eine Bezie­hungskultur, die den Erhalt und den Aufbau von Beziehungen im Sozialraum unterstütze. Auf diese Weise würden wir den Weg ebnen, damit Klientinnen und Klienten den Schritt aus der Selbstverurteilung wagten.

Buchtipp: Andreas Knuf, Umgang mit Gefühlen in der psychiatrischen Arbeit, Psychiatrie Verlag, ISBN 978-3-88414-955-3


Drei Sozialpädagogen sind im Betula in berufsbegleitender Ausbildung

Wir treten dem akuten Fachkräftemangel mit einer Ausbildungsoffensive entgegen. Aktuell be­finden sich bei uns drei Sozialpädagogen in berufsbe­glei­tender Ausbildung. Die angehenden Fachmänner sind drei beziehungsweise vier Jahre bei uns in Praxisausbildung. Sie sind in berufsspezifische Aufgaben involviert und übernehmen Handlungsverantwortung. Die Auseinandersetzung mit unseren Haltungen und Handlungsweisen schärft ihr sozialpädagogisches Profil und formt sie zu wertvollen Berufsleuten.


Peer-Arbeit im Betula

Ich arbeite seit 2017 als Peer im Betula. Es ist schön, zurückzudenken, wie es war, als ich an­ge­fan­gen habe, und wo ich jetzt stehe. Mittlerweile sind Einzelgespräche meine Haupt­aufgabe. Mir gefällt es, Menschen kennenzulernen, ihnen zu­zu­hören und, wenn sie von sich erzählen, zu er­fahren, was sie erlebt haben. Wichtig ist mir, zu erfahren, was sie sich wünschen, welche Situationen sie im Leben schwierig empfinden und welche hoffnungsvollen Momente es in ihrem Leben gibt. Über die Jahre sind Freundschaften entstanden. Ob Mitarbeiterin oder Bewohnerin, ich habe Menschen gern.

Es ist sehr hilfreich, dass es auch Kontakte gibt, die über lange Zeit bestehen und ich Veränderungen miterleben und begleiten kann. In der Peer-Arbeit ist die Basis das gegenseitige Vertrauen.

Ich weiss aus meinem eigenen Erleben, dass Vertrauen langsam wächst, und kann sehr gut verstehen, wenn mein Gegenüber mehr Zeit braucht, als ich meine. Durch mein Erlebtes kann ich vieles nachfühlen und nachvollziehen. Für mich selber ist auch hilfreich, wenn ich mit jemandem reden kann und ich mich verstanden fühle. Wenn ich merke, dass ich nicht die Einzige mit einer Erfahrung bin, dann geht’s mir schon besser. In meinen Beratungen geht es auch darum, Techniken weiterzugeben, die mir geholfen haben. Letztendlich muss aber jede und jeder selber entscheiden, was wirklich hilfreich ist.

Manchmal beschäftigen mich die Geschichten, die mir anvertraut werden, auch nach der Arbeit. Früher war dies schwieriger für mich. Heute kann ich besser zwischen Beruf und privat umschalten. Es gelingt mir nicht immer. Aber Beruf und Leben gehören irgendwie zusammen.

Andrea Uebelhard, Peer-Mitarbeiterin


Interview mit Cornelia Rüegg

Was bedeutet für dich Gesundheit bzw. Wohlbefinden?

Für mich bedeutet Gesundheit und Wohlbefinden, zufrieden zu sein mit mir und dem, was gerade ist. Es bedeutet für mich auch, in einer Freiheit zu leben, mich selbst ernst zu nehmen, ein «Ja» zu mir zu haben. Dazu gehört, dass ich mich selbst spüre und mich nicht fremdbestimmt fühle.

Wie geht es dir momentan?

Aktuell geht es mir gut. Ich baue derzeit Medikamente ab. Die Medikamente haben mich abstumpfen lassen. Ich lerne nun, mit meinen Gefühlen umzugehen, mir treu in den kleinen Sachen zu bleiben, Schritt für Schritt zu gehen und mir Zeit für Wachstum zu lassen, wie bei einer Pflanze. Ich möchte lernen, dass das Leben nicht nur schwarz-weiss ist. Das heisst für mich auch: meinen Haushalt machen, auf meinen Körper schauen, ihn pflegen und treu in kleinen Dingen sein. Wenn ich das nicht mache, dann holt mich meine Erkrankung wieder ein.

Wer war und ist wichtig auf deinem Genesungsweg?

Ich habe einen sehr guten Psychiater, menschlich wie fachlich. Er nimmt mich ernst. Das hilft mir, auch andere Menschen ernst zu nehmen. Betula ist eine sehr gute Unterstützung: die Menschen, das Miteinander, die Möglichkeit, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Freunde und Familie sind auch wichtig auf diesem Weg. Ich lerne durch andere Menschen, wie sie mit mir umgehen. Das hilft mir auch, bei anderen Menschen den Weg zu sehen, den sie gehen.

Was wünschst du dir für die Zukunft?

Ich wünsche mir einen Assistenzhund. Zudem möchte ich gerne eine Aus- oder Weiterbildung machen und herausfinden, wie es bei mir beruflich weitergehen könnte. Bisher habe ich Arbeit nur schlecht erlebt. Ich wünsche mir Arbeit, die mir Spass macht.

Liebe Cornelia, danke für das Gespräch.


Mein Blickwechsel

Im Rahmen meines Wirtschaftsstudiums an der Fachhochschule Ost durfte ich meinen gewohnten Arbeitsplatz in der Bank gegen eine Woche im Betula tauschen. Während fünf spannender Arbeits­tage lernte ich die Institution Betula vertieft kennen. Von allen Seiten wurde ich herzlich empfangen, und ich spürte von Anfang an Offenheit und Vertrauen.

In spannenden Gesprächen erfuhr ich viel von den Bewohnern und den Bewohnerinnen, hörte deren Geschichten und Sorgen. Alle erzählten mir, dass sie glücklich und zufrieden im Betula sind. Diese Zufriedenheit spürte ich auch bei den betreuenden Fachleuten.

Das Leitbild, der lösungsorientierte Ansatz und der Nachhaltigkeitsgedanke werden von allen Beteiligten gelebt.

Ich bin sehr dankbar und stolz, eine Woche im Betula verbracht haben zu dürfen. Denn während dieser Woche erhielt ich unglaublich viele Eindrücke, die mich auf meinem weiteren Lebensweg begleiten werden.

Herzlichen Dank, Simon Arnold


Einblick ins Angebot «Mittagstisch»

Das Angebot des Mittagstisches findet von Montag bis Freitag von 10.30 bis 13.00 Uhr im B Treff statt. Das Angebot wurde geschaffen für Bewohnerinnen und Bewoh­ner, die sich an eine Tagesstruktur gewöhnen wollen. Der offene Mittagstisch wird auch als Ergänzung zur Tagesstruktur oder zu einer Arbeitsstelle genutzt.

Den Mittagstisch gestalten die Teilnehmenden in Be­glei­tung selbstständig. Das Menü wird gemeinsam be­sprochen, der Einkauf getätigt, gekocht und am Schluss aufge­räumt. Die Idee, über die Mittagszeit einen Ort der Be­geg­nung zu schaffen, ist gut angekommen. Es besteht sogar der Wunsch nach einer Erweiterung des Angebotes. Zurzeit besteht die Absicht, das Angebot mit einem Atelierangebot zu verknüpfen.

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