Betula-Post (Jahresbericht 2023)

Der Fachkräftemangel ist in aller Munde und hat auch in den sozialen ­Einrichtungen die Personalpolitik aufgemischt.

Wir haben von Einrichtungen gehört, welche aufgrund fehlender Ressourcen Betreuungsangebote nicht mehr durchführen können. Mahlzeiten müssen extern bestellt werden, weil das Personal keine Zeit mehr hat, dieses mit den Nutzenden zusammen z­uzubereiten. Innovation und die Umsetzung zeitgemässer Konzepte scheitern am Umstand, dass niemand mehr Zeit findet, mehr als das Nötigste zu leisten.

Dies führt zum Effekt, den wir gemeinhin als «die Katze beisst sich selber in den Schwanz» bezeichnen. Wer bewirbt sich schon für eine Stelle, bei der nur Zeit für das Nötigste bleibt, wo die Nutzerinnen und Nutzer versorgt und nicht unterstützt werden und das Personal auf dem Absprung ist?

Spätestens jetzt geht es darum, sich Gedanken zur Personalpolitik zu machen. In den meisten Leitbildern findet man wohl Aussagen, dass die Mitarbeitenden im Zentrum stehen und deren Entwicklung zentraler Punkt des Personalmanagements ist. Wie sieht es aber im Alltag aus?

Wertschätzung und Wohlwollen haben wenig mit Lohn oder Grosszügigkeit bei der Beteiligung an Aus- und Weiterbildung zu tun. Vielmehr geht es darum, zusammen mit jeder und jedem das individuelle Potenzial und die Zukunftswünsche zu entwickeln und die nötigen Schritte konsequent einzuleiten. Entwicklung der Mitarbeitenden bedeutet für uns, ihren Wert zu erkennen und die individuellen Zukunftschancen auszubauen. Dabei unterscheidet sich die Aufgabe der Führungsverantwortlichen nicht von der Förderung der Nutzerinnen und Nutzer.

Zentral ist die Wirkung nach innen. Gut geführte Mitarbeitende geben nach aussen ein positives Bild ab, empfehlen die Organisation bei offenen Stellen ihren Freunden und Bekannten oder machen im besten Fall aktiv Werbung. Dafür braucht es keine «Anwerbungsprämien», sondern eine Verbundenheit zum eigenen Arbeitsplatz und den Wunsch, dass die offenen Stellen mit tollen und motivierten Berufsleuten besetzt werden.

Wir haben uns die Frage gestellt, was uns selbst wichtig wäre, wäre bei der Suche nach einer neuen Stelle. Dabei kamen wir zum Schluss, dass für uns zentral ist, wie mit uns umgegangen wird, welches Menschenbild in der Firma tatsächlich (nicht nur im Leitbild) gelebt wird und in welchem Umfeld wir unsere Arbeiten ausführen können. Auf individueller Ebene könnte die Frage heissen: «Wie ginge es mir, wenn ich dort arbeiten könnte?» ­Solche Informationen erhält man am ehesten auf dem informellen Weg über das persönliche Netzwerk.

Die Personalstrategie liest sich in den Gesichtern der Mitarbeitenden, welche tagtäglich die Arbeit in den Organisationen ­leisten – und nicht in Konzepten oder Hochglanzbroschüren!

Marco de Micheli bringt unser Anliegen in zwei Sätzen auf den Punkt. Lesen Sie von ihm das auf der Rückseite gestalterisch aufbereitete Zitat.


Verein «Mensch zuerst» evaluierte die sozial­psy­chi­atrischen Tagesangebote

Im Betula leben und arbeiten volljährige Menschen.Sie haben sich für Wohn- oder Tagesangebote von Betula entschieden, weil ihnen diese zur Umsetzung ihrer Wünsche und Ziele hilfreich erscheinen.

Ihre Bedürfnisse nach Selbstbestimmung und Eigenverantwortung unterstützen wir mit attraktiven, bedarfsgerechten Angeboten sowie mit Fachlichkeit und Wertschätzung. In dieser Haltung setzen wir mit den Betula Tagesangeboten immer wieder Anreize, die es den Nutzerinnen und Nutzern ermöglichen, sich für ein Angebot zu entscheiden. Eine grosse Rolle spielt dabei die Eigenmotivation. Die Handlung, die aus dieser Motivation entsteht, bedient schlussendlich ureigene und persönliche Bedürfnisse. Faktoren wie Freude und Interesse an einer Sache, aus eigenem Antrieb Talente und Stärken zu entdecken und weiterzuentwickeln, stehen dabei im Vordergrund. Die Tagesangebote bieten manuelle Tätigkeiten und die Möglichkeit zum sozialen Austausch.

Im Jahr 2022 fand dazu eine Umfrage in den Betula Tagesangeboten zur Zufriedenheit und Motivation der Nutzerinnen und Nutzer statt. Durchgeführt wurde die Umfrage von Mitgliedern des Vereins «Mensch zuerst». Auf der Website bezeichnen sie sich als «aktive Menschen mit Lernschwierigkeiten». In mehreren Gesprächskreisen wurden Fragestellungen diskutiert und unsere Angebote bewertet. Das Ergebnis der Umfrage ist verblüf­fend: alle 14 Personen, die daran teilgenommen haben, fühlen sich unterstützt und wirken motiviert. Das Resultat motiviert offensichtlich nicht nur unsere Nutzerinnen und Nutzer, sondern auch uns, die diese Tagesangebote verantworten und weiterentwickeln.

In den Gesprächsrunden wurden Fragen zu den Themen Motivation und Zufriedenheit diskutiert.
Die Teilnehmenden, die ja meist durch eine belastete Lernbiografie auch in ihrer Motivation geschwächt sind, sind durchs Band positiv be­­eindruckt von den Erfahrungen, die in den Tages­angeboten möglich sind. Im Folgenden dokumentieren wir stellvertretend drei Fragen, die die Teilnehmenden bejahen. Werden meine Anliegen gehört?, 14 Personen sagten Ja. Wirst du in den Anliegen und Arbeiten unterstützt? 14 Personen sagten Ja. Erhältst du persönliche Wertschätzung durch deine Arbeit? 14 Personen sagten Ja.


Open Dialogue im Betula

Seit einiger Zeit bieten wir im Betula Open-Dialogue-Netzwerkgespräche an. Open Dialogue ist eine Gesprächsform, die in Finnland entwickelt wurde. Ziel ist es, das Netzwerk einer Person in einer akuten Krisensituation, oder auch über längere Zeit, miteinzubeziehen. Geleitet wird das Gespräch von einem speziell dafür ausgebildeten Moderationsteam.

Unsere Haltung als Moderatorinnen ist die des Nicht-wissens. Wir verfolgen keine Lösungsabsichten oder Ziele während der Open-Dialogue-Gespräche und halten unsere Meinung konsequent zurück. Es findet ein offener Gedanken- und Meinungsaustausch statt, jede Stimme wird gehört.

Wir wünschen uns eine Zunahme an Open-Dialogue-Gesprächen, um weitere Erfahrungen machen zu können.


Ferien mit Betula – einfach der Hammer!

Mit einer psychischen Erkrankung sind Ferien allein bisweilen unmöglich. Dank Betula konnte ich endlich selbstständiger in die Ferien und musste nicht mehr wie ein Kind das «Mami» mitnehmen.

Es gab mir schon im Voraus enorme Sicherheit, zu wissen, dass mich Menschen begleiten, die ich bereits kenne, darunter zwei ausgebildete Fachpersonen, die mir bei Herausforderungen zur Seite stehen. Da ich jederzeit eine Ansprechperson hatte, gelang es mir, meine Platzängste zu überwinden.

Zudem hatte ich Angst, körperlich nicht fit genug zu sein für die vielen Ausflüge. Die Tage sind gefüllt mit spannenden Unternehmungen, wenn man das möchte. Man darf sich aber auch jederzeit ausruhen – gerade so, wie man es braucht. Als ich am dritten Tag erschöpft war und starke Fussschmerzen hatte, ruhte ich mich einen Tag lang aus. Es war schön, einmal einen ganzen Tag mit mir allein «Ferien» zu machen, also einfach NICHTS zu tun.

Am vierten Tag, nachdem ich mich in den Strassen zu­­rechtfand, traute ich mich alleine durch die Stadt und ass alleine meinen Lieblingszmittag. Was war ich stolz! Wenn wir als Gruppe unterwegs waren, durfte jeder seine Bedürfnisse äussern wie z.B.: «Ich würde gerne schnell in diesen Laden.» Man einigte sich immer auf eine Lösung, die für alle passte. Wer nicht mitwollte, verbrachte die Zeit anders, und man vereinbarte einen späteren Treffpunkt oder die Gruppe trennte sich, je nach Inte-
resse. Auch bei den Ausflügen wurden individuelle Wünsche berücksichtigt.

Am coolsten waren die gemeinsamen Abendessen: Es ging zu und her wie in einer Grossfamilie! Jeden Abend in einem anderen Restaurant wurde aus dem Nachbarteller genascht, Teller wurden herumgereicht, Reste verteilt – und vor allem viel geredet und gelacht. Die ersten Ferien mit Betula waren für mich ein berührendes Erlebnis. Noch nie habe ich mich in meinen Ferien so wohl und verbunden mit meinen Mitmenschen gefühlt, dass alle Ängste verflogen sind. Es fühlte sich zum ersten Mal an wie Ferien – die Krankheit macht ja sonst keine.
Ich war bereit, die Welt zu entdecken. Seither bin ich auch mutiger, alleine Ausflüge zu planen.


Fachstelle Sexuelle Gesundheit

2023 wurde im Betula die Fachstelle sexuelle Gesundheit gegründet welche aus zwei Frauen
und zwei Männern besteht, die den Angehörigen von Betula, beratend zur Seite stehen.

Ist über Sex sprechen ein Tabuthema? Über den Wunsch nach einer Liebesbeziehung sprechen
ein Alltagsthema? Gehört Sexualität zu den Liebesbeziehungen dazu?

Wir wenden uns liebevoll und professionell den Themen Liebe, Sexualität und Beziehung zu. Die Fachstelle bietet fachkundige Informationen, Begleitung in partnerschaftsbezogenen und sexuellen Lernprozessen. Verletzende und grenzüberschreitende Erfahrungen können dieses Thema sehr anspruchsvoll gestalten. Im Sinne einer ganzheitlichen Begleitung hat Betula ein Angebot geschaffen, das einen Gesprächsraum bietet, um sich offen und vorurteilsfrei diesem Erfahrungsbereich zuzuwenden.

In Beratung und Begleitung fördern wir Kompetenzen, die der sexuellen Zufriedenheit zuträglich sind, beispielsweise: Kontaktfähigkeit, Verantwortlichkeit, Selbstbewusstsein, Angstbewältigung, Toleranz, sowie die Fähigkeit zu Widerspruch und Abgrenzung gegenüber den Wünschen und Forderungen anderer.

Dem Zugang zu einer selbstverantwortlichen Hal-
tung, zum Annehmen von Unterschiedlichkeiten und zum liebevollen Respekt davor, schenken wir Aufmerksamkeit in der Begleitung. Wir verstehen Sexualpädagogik als eine vielsei­ti­ge Herausfor­derung, die ein waches Interesse aller Beteiligten einfordert.


Freiwillige bereichern unseren Alltag

Freiwilligenarbeit im Betula

Die sozialraumorientierte Ausrichtung von Betula und die Standards von Benevol bilden die Basis für die Zusammenarbeit mit Freiwilligen. Die Freiwilligenarbeit ergänzt und unterstützt die bezahlte Arbeit.
Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen sind klar und die Freiwilligen erhalten die Möglichkeit, ihre Rolle und ihre Erlebnisse mit einer zuständigen Fachperson zu reflektieren. Sie erhalten Anerkennung und Wertschätzung für ihre Leistungen. Die Freiwilligenarbeit bietet folgende Möglichkeit:

  • Das Finden und Pflegen von neuen sozialen Kontakten.
  • Das Einbringen von persönlichen Ressourcen.
  • Das Unterstützen von Einzel- und Gruppenaktivitäten im Wohnen oder in der Tagesbetreuung, die als kostbare Erfahrungsräume für alle Beteiligten erfahren werden können.

Im Jahr 2023 wurden im Betula 220 Stunden Freiwilligenarbeit geleistet. Wir erleben sehr gute Erfahrungen mit den Freiwilligen und sind sehr dankbar für diese Unterstützung!


Praktikumsbericht von Sarah Pinsini

Ich durfte im Rahmen des Wahlkurses «Blickwechsel» an der Ostschweizer Fachhochschule OST eine Woche lang Menschen begleiten, die in der Institution Betula leben und arbeiten. In dieser Woche konnte ich verschiedene Wohnbereiche, das Atelier am Egnacherweg und weitere Angebote wie den B-Treff besuchen.

Prägend waren für mich die Gespräche und Geschichten der Bewohnerinnen und Bewohner, aber auch der lösungs- und recoveryorientierte Ansatz, der im Betula gelebt wird.

Ich möchte mich von Herzen bei allen von euch bedanken, dass ihr mich so herzlich empfangen und aufgenommen habt. Ich habe mich sehr wohl bei euch gefühlt und ich werde das Betula sehr positiv in Erinnerung behalten.

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