Betula-Post (Jahresbericht 2022)

Wie unsere Haltung unsere Entwicklung gestaltet und begleitet.

    Wer sein Handeln stets äusseren Bedingungen anpasst, läuft Gefahr, zur Windfahne zu werden und in der Bedeutungslosigkeit unterzugehen.

    Veränderungsprozesse brauchen eine klar definierte Perspektive, einen Fixpunkt, ein Ziel, für das es sich lohnt, sich gemeinsam zu engagieren. Im Betula sagen wir dazu Haltung.

    Die Haltungen, welche Betula ausmachen, gründen auf den konzeptionellen Schwerpunkten der Lösungsorientierung, Recovery und Sozialraumarbeit. Haltungen kann man nicht vorgaukeln und sie sind Spiegel der Mission einer Organisation. Wenn diese mit den Mitarbeitenden gemeinsam und aufrichtig umgesetzt werden, wirkt eine ­Or­ganisation integer und glaubwürdig.

    Wir sind überzeugt, dass diese Ausstrahlung dazu führt, dass sich immer wieder Menschen hoffnungsvoll dazu entschliessen, sich freiwillig und aus freien Stücken für einen Platz im Betula zu entscheiden.  

    Am Beispiel der Entwicklung unserer Tagesbetreuung kann ein sehr gut nachvollziehbarer Bezug zu dieser Qualität hergestellt werden. Viele Jahre hat es zu unseren Aufnahmekriterien gehört, dass Interessierte für einen Wohnplatz über eine Tagesstruktur verfügen oder eine solche an­treten wollen. 

    Regelmässig sind wir mit dieser Erwartung auf ­Verständnis gestossen und die Bewerberinnen und Bewerber hatten sowieso vor, die Werktage mit Arbeit oder einer anderen regelmässigen Struktur zu gestalten.

    Vielfach sind wir aber auch auf Unverständnis und Bedenken gestossen, welche die Zuversicht oder das gute Gefühl für einen Eintritt belasteten. Dazu kam immer wieder die Frage auf, was von unserer Seite her zu tun ist, wenn jemand die abgemachte Struktur nicht einhält.

    Aus diesen Überlegungen haben wir die Haltung definiert, dass tätig zu sein zu den Grundbe­dürfnissen des Menschen gehört und er dabei Sinn, Beachtung und Orientierung erlebt.

    Wie jeder einzelne Bewohner oder jede einzelne Bewohnerin den Tag verbringt, ist jetzt ein wichtiger Bestandteil der Betreuungsarbeit und wird individuell und situationsbezogen geplant und umgesetzt.

    Parallel zu diesem Prozess sind unsere Tagesbetreuungsangebote vielfältiger und die Anstellungsbedingungen flexibler geworden. Es sind jetzt auch niederprozentige Anstellungen möglich. Zusätzlich haben niederschwellige Angebote wie der Mittagstisch oder das neu geschaffene Atelier an Gewicht gewonnen und bieten den Menschen die Möglichkeit, sich schrittweise ausserhalb der Wohnsituation zu bewegen und zu bewähren.

    Durch den Umstand, dass zwischen Bewohnenden und Bezugspersonen die Leitfragen «Was willst du?» und «Was kannst du tun?» im Raum stehen, wird Freiraum geschaffen für das Wagnis, Neues auszuprobieren, Neues zu lernen und neue Erfahrungen zu machen – auf beiden Seiten.  


    Peer-Arbeit im Betula

    Mit dem Praktikum einer Peer-Mitarbeiterin in Ausbildung starteten wir im Frühjahr 2015 mit der Peer-Arbeit. Die damalige Praktikantin wurde zur ersten fest angestellten Peer im Betula und blieb zwei Jahre.

    In dieser Zeit involvierten wir alle Mitarbeitenden in eine intensive Auseinandersetzung zu den Werten und Haltungen von Recovery und bildeten damit gute Bedingungen, welche Peer-Arbeit ermöglicht.

    Andrea, unsere jetzige Peer, startete 2017. Ihr Pensum steigerte sich von anfänglich 20 Prozent auf aktuell 60 Prozent, parallel dazu entwickelten sich auch ihre Aufgaben. Mittlerweile besteht ihr Arbeitsfeld aus Einzelgesprächen, Mitarbeit im offenen Atelier, dem Durchführen und Leiten einer Recovery-Gruppe, dem Gestalten von Themenabenden und internen Weiterbildungen, dem Arrangieren von Bilderausstellungen und dem Führen des Bewohnerrats. Andrea ist Ansprechperson für alle Bewohnenden und Mitarbeitenden des Betula und ist dabei dem Team des Betula Wohnangebots an der Kindergartenstrasse angeschlossen. Dort ist unsere Peer bei Teamsitzungen und Supervisionen dabei und benutzt die dort vorhandene Infrastruktur für ihre Büroarbeiten.

    Wir haben gelernt, dass das Arbeitsfeld der Peer so ge­staltet sein soll, dass sie regelmässig Kontakt zu den verschiedenen Angehörigen des Betula hat. Aus diesen Kontakten entwickeln sich regelmässig Gespräche, welche vielfach in einer für die Bewohnenden hilfreichen Peer-Beratung enden. Andrea ist Mitglied an den Sitzungen der Bereichsleitungen und bringt dort den Standpunkt der Betroffenen ein und wirkt dabei als Sprachrohr unserer Bewohnerinnen und Bewohner.

    Peer-Arbeit ist für alle Beteiligten aus dem Betula Alltag nicht mehr wegzudenken und entwickelt sich stetig.  


    Mein Blickwechsel

    Ziele sind nicht das Ziel, sondern Leuchttürme

    Ziele sind wie Leuchttürme, die helfen sollen, auf Kurs zu bleiben, aber nicht der Hafen, der erreicht werden muss.

    Der erlebnispädagogische Ansatz wird als ergänzendes und unterstützendes Element zum Kernauftrag eingesetzt. Die Nutzenden und Mitarbeitenden vom Betula haben in erlebnispädagogischen Projekten die Möglichkeit, ihre Sozial- und Selbstkompetenzen über sinnliche Erfahrungen in der Natur, über das Lernen durch Handeln, über die Kraft der Metaphern (zum Beispiel: in einem Fluss schwimmen: «mit dem Strom schwimmen») und über eine gedankliche Vertiefung zu erweitern.  

    Es geht weniger um abstrakte Lerninhalte als viel­mehr um das Anstossen individueller Wachstums- und Entwicklungsprozesse. Dabei spielt die intensive sinnenhafte Umgebung (alternative Lernräume) wie Wald, Fluss, Seeufer oder Berg als alle Sinne ansprechende Lernräume eine wichtige Rolle.

    Erlebnispädagogik fördert Lernen durch Naturerfahrungen und herausfordernde Situationen. Stärkung von Selbstvertrauen, Teamfähigkeit, Empathie und Problemlösungskompetenzen.

    So geht es bei Erlebnis Betula nicht darum, ob ein Ziel erreicht worden ist oder nicht, sondern darum, dass im Teilnehmer eine Orientierung entsteht, die ihm zeigt, welchen Weg er schon zurückgelegt hat und wie die nächsten sinnvollen Schritte aussehen könnten.

    Persönlichkeitsbildende Lernprozesse werden durch handlungsorientierte Methoden in der Erlebnispädagogik unterstützt und ergänzt. Ein bekanntes Erklärungsmodell der Erlebnis­pädagogik ist das Komfort- und Risikozonenmodell.

    Den üblichen Lebensbereich, in dem sich Menschen wohlfühlen und gut auskennen, wird als Komfortzone bezeichnet.

    In der angrenzenden Risikozone kann Lernen stattfinden. Dort wartet Neuland, das zur Erkundung bereitsteht. Erfahrungen und Erlebnisse in diesem Risikobereich – in dem nur einge­schränkte Er­fahrungen verfügbar sind, in dem manches verun­sichert, vielleicht sogar schmerzt und ängstigt, ermöglichen Weiter­entwicklung und die Etablierung eines neuen, ausgedehnteren Komfortbereichs.

    Systemische Erlebnispädagogik pendelt zwischen Komfort- und Lernzone: Sie gibt Menschen die Gelegenheit, Sicherheit und Vertrauen auf­zubauen, und fordert gleichzeitig zum Wagnis auf. Positive, intensive Erlebnisse sind erwiesenermassen aussergewöhnlich inspirierend und tiefgreifend genug, um Neues zu lernen.


    Wertschätzung mit Rückkopplungseffekt

    Was denkst du über mich?

    Menschen wollen wissen, woran sie bei ihrem Gegenüber sind. Wenn Rückmeldungen fehlen, beginnen wir Menschen, etwas in das Gegenüber hineinzuinterpre­tieren. Ohne Rückmeldung interpretiert unser Gehirn die fehlende Rückmeldung meistens mit einer negativen Deutung der Situation.

    Wir alle möchten aber beachtet werden und mit dem, was wir tun, Wirkung erzielen. Wer wertgeschätzt wird, hat ein besseres Selbstvertrauen, ist zufriedener und erbringt eine bessere Arbeitsleistung.

    Durch Wertschätzung werden Hormone freigesetzt, die das Wohlbefinden, Beziehungen, Konzentration und Leistungskraft verbessern. Wer glücklich und zu­frie­den ist, übernimmt schliesslich mehr ­Verantwortung und ist im Kleinen, wie im Grossen erfolgreicher.

    Das Attraktive daran, Wertschätzung zu zeigen, liegt darin, dass es ansteckend ist, oft zurückgegeben wird und sogar einen Rückkopplungseffekt hat. Denn erwiesenermassen stärkt Wertschätzung nicht nur den Selbstwert des Empfängers, sondern auch den des Senders. Wer Wertschätzung zeigt, profitiert selbst davon! Wertschätzung ist unbezahlbar – und einfach in der Anwendung: Nachspüren, was ich «schätze», und es mitteilen.

    Doch eine Einschränkung gibt es: Wertschätzung darf nie als Methode oder als Mittel zum Zweck eingesetzt werden. Damit Wertschätzung ihre Kraft entfalten kann, muss sie ­ehrlich sein!


    Offenes Atelier

    Ermutigt und stärkt Kräfte

    Der Bedarf an niederschwelliger Tagesbetreuung ist ungebrochen gross und wir erleben immer wieder, wie eine unverbindliche Struktur als Sprungbrett in eine regelmässige und verbindliche Tagesstruktur genutzt wird.

    Neu besteht dienstags und mittwochs die Möglichkeit, sich im offenen Atelier zu beteiligen und in diesem Er­lebnisraum mit verschiedenen Materialien zu arbeiten.

    Wie Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Zeit im Atelier gestalten, entscheiden sie individuell. Sie werden dabei von einer Kunstagogin angeleitet und unterstützt.

    Das offene Atelier wird im B-Treff durchgeführt und ­versteht sich als ergänzendes Tagesbetreuungsangebot.

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