Ein ganzes Universum

Art brut (franz. für ‚unverbildete, rohe Kunst‘) ist ein Sammelbegriff für autodidaktische Kunst von Laien, Kindern und Menschen mit geistiger Behinderung.

Die Bezeichnung ging vom französischen Maler Jean Dubuffet aus, der sich eingehend mit einer naiven und antiakademischen Ästhetik beschäftigte. Art brut ist weder eine Kunstrichtung noch eine Stilbezeichnung, sondern beschreibt eine Kunst jenseits etablierter Kunstformen und -strömungen.

Im anglo-amerikanischen Sprachraum ist stattdessen der Begriff Outsider Art („Außenseiter-Kunst“) gebräuchlich.

Dubufett und viele andere haben dazu beigetragen, das künstlerische Schaffen von Menschen, die als krank und/oder behindert klassifiziert werden als gleichberechtigt mit etablierter Kunstarbeit und die dieserart Kunstschaffenden als Künstler anzuerkennen.

Heute ist der von Dubufett  geschaffene/benutzte Begriff  in der Kunstszene und im Kunstmarkt genau in das Gegenteil dessen verkehrt, was Dubufett wollte:

Eine Kategorie der Ausgrenzung und Abschottung, und zwar des etablierten Art-Brut-Kunstmarktes. Der etablierte Markt soll eng gehalten und neue kunstschaffende Art-Brut-Künstler als potentielle Wettbewerber von diesem Markt ferngehalten werden.

Damit wird genau das erreicht, was Dubufett nicht wollte: Die Behinderung und Ausgrenzung von Künstlern, die krank oder behindert sind.

Adolf Wölfli wurde als jüngstes von sieben Kindern geboren. Der alkoholkranke Vater verliess 1870 die Familie, die Mutter starb 1873. Adolf Wölfli musste sich unter schwierigen, lieblosen Bedingungen als Verdingbub bei verschiedenen Bauernfamilien in Schangnau seinen Lebensunterhalt verdienen, später als Knecht oder Handlanger. 1890 wurde er wegen versuchter Vergewaltigung an einem 5- und einem 14-jährigen Mädchen zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Als er drei Jahre nach seiner Entlassung rückfällig wurde, ordnete man eine Untersuchung seiner Zurechnungsunfähigkeit an. In der Psychiatrischen Klinik Waldau bei Bern wurde die Diagnose Schizophrenie gestellt.

Wölfli lebte von 1895 bis zu seinem Tode in der Nervenheilanstalt Waldau. Während seines 35-jährigen Aufenthalts schuf er ein umfassendes Werk aus rund 1460 Zeichnungen, etwa 1560 Collagen und 25.000 zu Heften gebundenen Seiten mit Erzählungen, Gedichten und Musikkompositionen. Das produktive Werk entstand überwiegend in einer 7-Quadratmeter-Kammer mit Bunt- und Bleistiften auf dünnem, holzhaltigem Makulaturpapier. Geschildert wurden Eindrücke aus Schangnau, Bern, der Waldau und dem Emmental, die einzigen Orte, die Wölfli kennengelernt hatte. Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter der Art Brut bzw. Outsider Art.

Sein Psychiater Walter Morgenthaler widmete ihm 1921 das Buch Ein Geisteskranker als Künstler, das erstmals einen an Schizophrenie leidenden Patienten als Künstler ernst nahm. Erst lange nach seinem Tod wurde sein bildnerisches und dichterisches Werk, das sich gängigen ästhetischen Kategorien entzieht, einem breiteren Publikum bekannt. Der französische Maler Jean Dubuffet stellte 1948 120 Zeichnungen Wölflis in der Compagnie de l’Art Brut in Paris aus; auf der Documenta 5 in Kassel 1972 wurde ihm der Bereich Bildnerei der Geisteskranken gewidmet.

Wölflis Gesamtwerk wird seit 1975 in der Adolf-Wölfli-Stiftung im Kunstmuseum Bern verwahrt, wissenschaftlich bearbeitet und ausgestellt von der Kuratorin Elka Spoerri. Sein Grab auf dem Berner Schosshaldenfriedhof ist inzwischen aufgehoben.

Jean Dubuffet, geboren 1901 in Le Havre und gestorben 1985 in Paris, war ein französischer Maler, Bildhauer, Collage- und Aktionskünstler. Er setzte sich Zeit seines Lebens für eine antiintellektuelle Kunst ein. Diese verteidigte er in Texten und Vorträgen. Kam dazu, dass seine Arbeiten vom Bildvokabular der Kinder, Naiven oder Geisteskranken inspiriert waren.

Neben seiner eigenen künstlerischen Tätigkeit machte er sich vor allem einen Namen als Sammler und Förderer von Kunst psychisch kranker oder geistig behinderter Menschen und gesellschaftlichen Aussenseitern.

Den Begriff Art Brut, den Jean Dubuffet prägte, und der mit rohe, unverfälschte oder ungebildete Kunst übersetzt werden kann, tauchte erstmals 1945 auf. Zu dieser Zeit unternahm Dubuffet in der Schweiz und in Frankreich seine ersten Entdeckungsreisen auf der Suche nach Werken von Randerscheinungen des Kunstbetriebs.

1947 stelle Dubuffet in Paris ein erstes Mal im Namen seiner Compagnie de l’Art Brut Werke aus. Dem Schweizer Adolf Wöfli widmete er 1948 eine Einzelausstellung und präsentierte 120 Zeichnungen. Später sagte er dann einmal: “Die besseren Verrückten sind die aus der Schweiz.”

Jean Dubuffet war ein ganzes Leben lang als Künstler und Kunstsammler aktiv. 1975 schenkte er seine mittlerweile auf 15.000 Objekte angewachsene Sammlung der Stadt Lausanne, wo sie seit 1976 in einem öffentlichen Museum, der Collection de l’Art Brut, ausgestellt wird.

Text zu  – Art brut: Kunst und Psychose –

Museum im Lagerhaus St.Gallen für Naive Kunst und Art Brut

1 Kommentar zu „Ein ganzes Universum“

  1. In diesen Bildern, dem Malen leben die Betroffenen ihr eigenes, ganz persönliches Leben. Das was sie nicht in Worten erfassen können wird so in der Form der Kunst von Malen zum anderen mitgeteilt. Das ist infantile, schlichte Kommunikation, Mitteilung an Dritte, – auf einer anderen verborgenen Ebene.

    Die Bilder drücken Empfindungen, Wahrnehmungen, Gefühle, Wünsche, Hoffnungen und vieles mehr aus, nur in einer anderen besonderen Form.

    Man könnte, kann die Bilder auch den „ Spiegel der Seelen „ – des Malers, Malerin, Künstler- rin bezeichnen. Das was nicht in der Form durch das gesprochene Wort gesagt werden kann, wird durch die Bilder vermittelt zum Dritten, der dritten Person.

    Es ist eine schlichte Form der Kommunikation und der Bitte um Verständnis von zwei verschiedenen Welten,… Auch wenn dies in der heutigen Zeit noch sehr oft belächelt wird.

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