Blind & Medizinische Tastuntersucherinnen

MTUs tasten die weibliche Brust mithilfe von Orientierungsstreifen systematisch ab. So entsteht ein Raster, in dem die Tastuntersucherin verdächtige Punkte genau bestimmen und dem Arzt mitteilen kann

Das Tätigkeitsfeld der Medizinischen Tastuntersucherinnen (MTU) ist zunächst blinden Frauen vorbehalten. MTUs können mit ihren Fingern selbst kleinste Veränderung der weiblichen Brust entdecken.

Marie-Luise Voll hat eine besondere Begabung. Ihre Finger sind sensibler als die der meisten Menschen. „Je schlechter meine Augen wurden, umso besser entwickelte sich mein Tastsinn“, sagt die heute vollständig erblindete Frau.

Ihr neu erworbenes Talent hat sie zum Job gemacht. Marie-Luise Voll arbeitet seit zwei Jahren als Medizinische Tastuntersucherin (MTU). Sie hat gelernt, Knötchen, Tumore und jede noch so kleine Veränderungen der weiblichen Brust mit ihren Händen zu erspüren.

Von der Idee zum neuen Tätigkeitsfeld für blinde Frauen

Die Projektidee “discovering hands®”, sprich entdeckende Hände, stammt von Dr. Frank Hoffmann. Der Duisburger Gynäkologe möchte die Früherkennung von Veränderungen, auch Mammakarzinomen durch die Etablierung von Medizinischen Tastuntersucherinnen verbessern und somit die Heilungschancen erhöhen.

„Discovering hands®“ ging 2006 offiziell in die Startphase. 2007 endete die Entwicklungsrunde mit dem Abschluss der ersten beiden Teilnehmerinnen des Pilotkurses. Seitdem laufen regelmäßig Ausbildungskurse zur Medizinischen Tastuntersucherin in Düren, Mainz, Nürnberg und Halle. Der nächste Kurs startet dort im Januar 2011. Einige Plätze werden noch vergeben.

Das vom LVR-Integrationsamt kofinanzierte und von mehreren Kooperationspartnern getragene Projekt hat doppelten Nutzen. „Es werden sowohl die besonderen Tastfähigkeiten von blinden Frauen eingesetzt als auch die soziale Integration in die Arbeitswelt von Menschen mit Behinderung gefördert“, erklärt der Projektmanager Ralf Esser.

Marie-Luise Voll und ihre aktuell 13 Kolleginnen sind angestellt. Voll ist seit 2008 in der Praxis von Dr. Hoffmann tätig. Medizinische Tastuntersucherinnen kooperieren entweder mit einem Gynäkologen oder einer Klinik. „Nur die Ärzte dürfen diagnostizieren. Die Verantwortung liegt beim Mediziner“, sagt Ralf Esser.

Marie-Luise Voll entdeckt bei ihren Untersuchungen kleinste Veränderungen der weiblichen Brust. Eine Mammographie kann die Tastung nicht immer ersetzen

Ausbildung: Rahmenbedingungen und Kosten

Die Qualifizierung zur Medizinischen Tastuntersucherin setzt eine Berufsausbildung voraus und erstreckt sich inklusive Praktikum über neun Monate. Die Kosten der Qualifizierungsmaßnahme werden zu hundert Prozent von den Rehaträgern übernommen.

Frauen, die sich für die Qualifizierung zur Medizinischen Tastuntersucherin interessieren, werden zu einem Assessement eingeladen. „Nicht alle blinden Frauen können gut tasten und haben die notwendigen Fähigkeiten. Deshalb muss jede Interessentin ein Assessement durchlaufen. Hierbei wird herausgefunden, ob sie für dieses Tätigkeitsfeld geeignet ist“, erklärt Esser.

Marie-Luise Voll rät interessierten Frauen, einen Schnuppertag zu absolvieren, um einen Einblick in den Arbeitsalltag einer Medizinischen Tastuntersucherin zu erhalten. Langweilig wird es der Tasterin während ihrer Tätigkeit nie. „Es ist jeden Tag etwas Neues. Die Tastungen sind immer sehr verschieden“, sagt Voll.

Das Alter spielt für die Qualifizierung zur MTU keine Rolle. „Die Frau muss ein eigenes Standing haben. Sie muss das Vertrauen der Patientinnen aufbauen können“, sagt der Projektmanager.

Gynäkologe Dr. Frank Hoffmann ist davon überzeugt, dass Medizinische Tastuntersucherinnen Veränderungen der Brust besser und bereits im Frühstadium erkennen können

Untersuchung: Rahmenbedingungen und Kosten

Vertrauen spielt bei der dreißigminütigen bis einstündigen Tastuntersuchung eine wesentliche Rolle. „Für viele Frauen ist der zwischenmenschliche Kontakt wichtig. Jemanden zu haben, mit dem sie eine halbe Stunde reden können“, sagt Marie-Luise Voll.

Die erfahrene Tasterin mit Vollzeitanstellung ist bei den Patientinnen von Dr. Hoffmann sehr gefragt. „Meistens führe ich fünf oder sechs Tastungen an einem Tag durch. Das Maximum sind zehn Tastuntersuchungen“, sagt Voll.

Die MTU empfiehlt, eine Tastung im Jahr durchführen zu lassen. Eine Untersuchung kostet bei Marie-Luise Voll dreißig Euro. Egal, wie lange sie dafür benötigt.

Aktuell deckt die BKK Mobil Oil die Kosten für die Untersuchung. Verhandlungen mit weiteren gesetzlichen Kassen laufen. Auch private Krankenkassen übernehmen die Kosten für die Tastuntersuchung.

Medizinische Tastuntersucherinnen sind aktuell in elf gynäkologischen Praxen und drei Kliniken tätig. „Die Nachfrage ist sehr groß“, sagt Ralf Esser.

Wünschenswert wäre, MTUs in ganz Deutschland zu etablieren. Süddeutschland ist aktuell noch einer der schwarzen Flecken.

Blick in die Zukunft

Ende des Jahres soll das Projekt „discovering hands® “ in eine GmbH übergeführt werden. Weiter ist in Planung, eine Plattform zum Austausch für MTUs zu etablieren.

Aktuell findet die erste Ausbildung der Ausbildner zur Medizinischen Tastuntersucherin statt. Das weltweit einzigartige Projekt soll dadurch auch in anderen Ländern Einzug halten können. Die Voraussetzungen dafür sind in einigen Ländern in der Prüfungsphase.

Was es in absehbarer Zukunft nicht geben wird, ist die Qualifikation zum Medizinischen Tastuntersucher. „Die Ausbildung wird nur für Frauen angeboten, da sich die Frauen während der Ausbildung zum Training auch gegenseitig untersuchen. Eine Gruppenakzeptanz wäre schwer, wenn auch Männer an der Qualifizierung teilnehmen würden“, erklärt Ralf Esser.

Folgen Sie dem Beispiel von Discovering Hands und machen Sie Ihr scheinbares Defizit zur besonderen Jobqualifitkation. Überlegen Sie sich, was Sie durch Ihre Behinderung besser können. Denken Sie um die Ecke und finden Sie dort vielleicht Ihre neue Berufung.

Gefunden unter:
www.myhandicap.de
 

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