Auf der Suche nach Antworten … Folge 5

In loser Folge machen wir uns auf Spurensuche nach Antworten rund um Herausforderungen aus dem Feld der Sozialen Arbeit.

Diesmal Karin Morgenthaler im Interview mit Reto Eugster, Webflaneur, Hochschuldozent, Kaffeehausliebhaber, Sozialarbeiter und Katzennarr

Reto, erzähle bitte wer du bist und was du machst.

Was ich so mache? Zweimal in dieser Woche habe ich Kaffee über die Tastatur geschüttet, wichtige Bücher kaufe ich mehrfach, ich kämpfe regelmässig gegen den Stammtisch in mir, seit drei Jahren arbeite ich Teilzeit, damit ich mehr Zeit zum Webflanieren und Studieren habe, wenn ich mich in ein Tier zu verwandeln hätte, würde ich die Gestalt der Katze wählen. Der Schritt von der Lehre in die Leere vor drei Jahren war für mich wichtig. Zudem beschäftige ich mich mit Bildung und Medien (Zweitstudium). Zuvor habe ich, nach der Ausbildung zum Sozialarbeiter, in verschiedenen Berufsfeldern der Sozialen Arbeit gearbeitet. Stolz bin ich auf die Jahre, in denen ich das Masterprogramm Social Informatics (als Co-Leiter) forciert und geleitet habe. 

In deiner Zeit an der FHS hast du jahrelang doziert. Gibt es Themen, die herausfordernd sind zu lehren? Welche?

Ich verstehe mich weniger als Dozent, denn als Arrangeur von Lernprozessen. Jede Lehrveranstaltung ist auch für mich eine Lernveranstaltung. Abstraktion bedeutet Ablösung, Ablösung vom konkret Erlebbaren. Es hat mich befeuert und zuweilen herausgefordert Studierenden Abstraktion zuzumuten. Nur so ist angesichts moderner Gesellschaft erklärbar, weshalb beispielsweise Recht nicht Gerechtigkeit, sondern “nur” Recht und Religion nicht Erlösung, sondern “nur” Transzendenzerwartung erreichen können. Und Soziale Arbeit? In der Abstraktion lässt sich verstehen, weshalb die Klientel der Sozialen Arbeit Hilfe oft als Kolonialisierung der Lebenswelt erlebt, als Zumutung, Kontrolle, Normalisierungsdruck.

Nehmen wir ein Beispiel aus dem Lehrplan: der Sozialraum. Ist es möglich, Wissen darüber weiterzugeben ohne dass die Studierenden einen Praxisbezug dazu haben?

Was müsste passiert sein, damit Studierende keinen Bezug zum Konzept des Sozialraums herstellen könnten? “Sozialraum”, das meint die soziale Disponibilität von Raum. Diese spielt in der Alltagspraxis auch von Studierenden eine wichtige Rolle, zum Beispiel bei der Aneignung öffentlichen Raums. An einer Hochschule geht es darum, diese Alltagspraxis zu reflektieren. Theorie ist das Vehikel dazu. Beispielsweise erleben Betroffene Konflikte der Raumaneignung im Quartier oft als chaotische, überfordernde und überbordende Entwicklung. Sobald sie Gelegenheit haben, solche Konflikte systematisch zu analysieren, lernen sie, dass diese Konflikte eine Art “Ordnungsleistung” sind, eben nicht chaotisch im vorgängigen Sinn. Sie sehen das “Musterhafte” des Konflikts. 

Wie sähe der Lehrplan respektive die Aufteilung zwischen Praxis und Theorie aus, wenn du die Entscheidungsmacht hättest?

Für mich stellt sich die Frage in dieser Weise nicht. Ich gehe von einer Theorie der Praxis und einer Praxis der Theorie aus. Die rhetorische Figur der Theorie-Praxis-Differenz dient meistens der Abwehr von professionsbezogenen Veränderungen. Oder um es in loser Anlehnung an Rudolf Stichweh zu sagen: Mit der Praxis schützt sich die Soziale Arbeit vor der Theorie und mit der Theorie vor der Praxis.

Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Was werden in 5 und in 25 Jahren die Herausforderungen in der Sozialen Arbeit sein?

Ich glaube nicht, dass die Zukunft als Verlängerung der Vergangenheit gedacht werden sollte. Deshalb bin ich überzeugt, dass sich Neues ergeben wird, das prognostisch nicht zugänglich ist. Wenn du mich fantasieren sehen willst: Wir werden eine Entwicklung erleben, die in zwei unterschiedliche Richtungen weist. Sozialarbeiterische Dienstleistungen werden einerseits verstärkt “industrialisiert” werden. Mit dieser – zugegeben provokanten – Formulierung meine ich, dass sich die Entwicklung fortsetzen wird, die wir heute beobachten: Ein Teil der Angebote läuft über niederschwellige Online-Tools, z.B. mit Assistenzsystemen. Aber die Face-To-Face-Beratung wird anderseits nicht obsolet, ganz im Gegenteil. Sie wird stärker nachgefragt sein als heute. Nur die Erwartungen an die Face-To-Face-Angebote sind daran, sich grundlegend zu verändern. Künftig werden High Professionals befragt sein. Für die “Durchschnitts-Professionals”, die Standards abarbeiten, Hilfsbürokratien ernähren usw., wird es keinen Platz mehr geben. Das können die “intelligenter” werdenden Assistenzsysteme bald besser. 

Kannst du folgende Sätze beenden:
Dem Sozialwesen wünsche ich… – “alles Gute.”

Soziale Arbeit bedeutet für mich… – “ein Geschehen, das in mancherlei Hinsicht emanzipatorisches Potenzial entfalten kann.”

Herzlichen Dank du Guter!

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