Begeisterungsrausches, Abkühlung, Enttäuschung, Frustration, Verbitterung

Die letzten Tage prägten – ich jedenfalls empfinde es so – vor allem folgende Wörter unsere Medienlandschaft: Blockade, Verweigerung, Sperrung, Verhinderung. Da sperrt sich doch tatsächlich jemand und macht laut Medienberichten „jegliche konstruktive Zusammenarbeit schwierig bis unmöglich“. Sobald eine Person, eine Partei, ein Land oder wer oder was auch immer blockiert, wird von „Ernüchterung“ gesprochen. Sich zu sperren gehört sich halt einfach nicht! Jetzt hat ein Herr aus den USA doch tatsächlich den Nerv, an ein Gipfeltreffen zu kommen und sich abzuriegeln und zu blockieren.

von Karin Morgenthaler

Nun, folgende Zeilen haben nichts mit Hochmut zu tun, nein. Aber ich wage es tatsächlich, dieses Gipfeltreffen der letzten Tage mit meiner Arbeit zu vergleichen. Weit hergeholt? Mag sein. Ich mache es trotzdem.

In meinem Berufsfeld erlebe ich ab und an, dass „sich jemand verweigert“. Dies kann auf verschiedene Weise geschehen. Verweigerung, ein Ämtli zu erledigen. Oder sich verweigern, ein Bezugspersonengespräch zu führen. Oder zu blockieren, sobald ein „wunder Punkt“ getroffen wurde, beispielsweise während eines Gespräches.

Und wenn so ein Fall eintritt, bin ich selten „ernüchtert“, sondern versuche, den Sachverhalt nüchtern darzustellen. Hilfreich ist es, wenn die Annahmen des lösungsorientierten Ansatzes im Hinterkopf verankert sind. In so einem Fall wäre dies beispielsweise die Annahme: „Jede Reaktion ist eine Form von Kooperation. Widerstand auch.” Lösungsorientiert gehen wir dann davon aus, dass es eben NICHT bedeutet, dass mein Gegenüber nicht will, sondern momentan einfach nicht anders kann. Und statt den Kopf in den Sand zu stecken und sich aufzuregen, kann versucht werden, die Verantwortung zurück zu geben und beispielsweise zu fragen, wie denn der G-7-Gipfel aussehen müsste, damit er für den amerikanischen Präsidenten wie das Gespräch sein müsste, damit es für Bewohnerinnen und Bewohner Sinn macht. Die „Blockade“ nämlich als etwas Persönliches (gegen MICH Gerichtetes) zu betrachten, ist  nicht wirklich hilfreich.

Dudens Definition zu „Ernüchterung“ ist übrigens: „das Aufhören eines Begeisterungsrausches, Abkühlung, Enttäuschung, Frustration, Verbitterung.” Es setzt also voraus, dass ich mich zuvor – vor einem Gespräch – in einem wahren Begeisterungsrausch befunden habe. Ja, ich arbeite gerne, aber gleich in einem Rauschzustand? Und „Ernüchterung“ per Duden heisst für mich, dass eine grosse, persönliche Komponente mitschwingt – ich bin also verbittert und frustriert, sobald ich auf eine Blockade stosse. Die Grossen und Mächtigen der anderen sechs Länder Viele Sozialschaffenden sind also laut Duden des Öfteren enttäuscht und landen hart direkt vom Begeisterungsrausch auf dem Boden der Tatsachen. Ich merke selber, wie komisch es sich anhört, während ich diese Zeilen schreibe. (Und würden dann nicht gleich sehr viel weniger Menschen im sozialen Bereich arbeiten, wenn dem so wäre?) Viel spannender und ein vielleicht gelingenderer Ansatz wäre doch herauszufinden, weshalb die Blockade errichtet wurde und was die Motive dafür sind? Und ganz ehrlich: gehört es nicht auch ein wenig zum „Berufsrisiko“, dass mein Gegenüber nicht mit mir einverstanden ist? Und gehört es nicht dazu, sich aneinander reiben zu können, bis ein Konsens gefunden wurde?

Und nein, ich möchte hier niemanden in Schutz nehmen. Und ja, auch mir macht das Weltgeschehen manchmal Angst und bildet Sorgenfalten auf meiner Stirn. Ich wollte nur mal wieder ein wenig provozieren – und auf das aktuelle Weltgeschehen Bezug nehmen.

„Frust ist der Frost der Seele.“ – Waltraud Puzicha, deutsche Aphoristikerin

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