Durch meine Erfahrungen von Rassismus und Diskriminierung

Wasanthi Fehr

Im Betula wurde dieses Jahr eine Mitarbeiterumfrage zum Thema Rassismus durchgeführt. Ich möchte es mir daher nicht nehmen lassen, euch mitzuteilen, wie ich zu dem Thema stehe und was meine professionelle Haltung dazu ist. Ich benötige dafür mehrere Blogbeiträge und beginne hiermit mit der Einleitung zum Thema Rassismus. Im nächsten Beitrag möchte ich dann auf den Begriff selber eingehen und wie wir uns dem Kampf gegen Rassismus in unserem Alltag stellen können.

Wie vielleicht nicht alle wissen, wurde ich als Baby mit meiner Zwillingsschwester aus Sri Lanka im Alter von 4 Monaten von einem Schweizer Ehepaar adoptiert. Schon als Kleinkinder bemerkten wir, dass unsere Eltern eine andere Hautfarbe haben und machten sie gemäss Erzählungen von meinen Eltern darauf aufmerksam. Meine Eltern haben nie ein Geheimnis daraus gemacht und erzählten uns schon früh, warum dies so ist. Für mich wurde es normal, sie waren meine Eltern und ich hatte mir nie wirklich Gedanken gemacht, dass ich dunkelhäutig bin, bis ich in die Schule kam. Es kamen Fragen wie: “Warum sind deine Eltern weiss und du nicht?”, “Wurdet ihr gekauft?”

Für mich waren diese Fragen so unverständlich wie die Bezugnahme auf meine Hautfarbe. In den Pausen oder nach der Schule wurden wir oft gemobbt, geschlagen und ausgegrenzt. Lehrende schien dies nicht interessiert zu haben. Abwertende Sprüche und Ausdrücke wie: «Du dreckige Neger, gang dich go putze!», «Verbranntes Kind», «Schoggikopf», «Neger», sind nur eine kleine Ausgabe dessen, war ich als expliziten Rassismus in meiner Schulzeit erleben musste.

Für mich und meine Zwillingsschwester schmerzhafte und prägende Erfahrungen, die mich schliesslich – neben anderem – zu dem machten, was ich heute bin: Sozialarbeiterin.

Durch meine Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung in unserer Gesellschaft sowie in der Schul- und Arbeitswelt kam in mir immer mehr der Drang auf, etwas gegen ungerechte gesellschaftliche Verhältnisse zu tun, mich für die Rechte von Minderheiten und Ausgegrenzten einzusetzen und bessere Bedingungen zu schaffen, sprich: den Kampf gegen soziale Ungleichheit aufzunehmen und denen eine Stimme geben, die (noch) keine haben.

In diesem Sinne möchte ich auf den Berufskodex der Sozialen Arbeit aufmerksam machen. Wir als Professionelle der Sozialen Arbeit unterstehen einem dreifachen Mandat: Zum einen der Gesellschaft, zum zweiten dem Klientel und zum dritten dem Berufskodex der Sozialen Arbeit, der helfen soll, sich zwischen den ersten zwei Mandaten professionell zu bewegen.

D. h. wir als Sozialarbeitende unterliegen zwar keiner bestimmten Weltanschauung. Wir sind jedoch nach dem Berufskodex der Sozialen Arbeit verpflichtet, die Menschenrechte einzufordern, soziale Missstände anzuprangern, gerechte Strukturen im Sinne von Chancengleichheit und gerechter Ressourcenverteilung mitzugestalten. Dies bedingt, dass wir uns gegen Ungerechtigkeiten und soziale Ungleichheit erheben. Wir als Sozialarbeitende sind nach dem Berufkodex der Sozialen Arbeit verpflichtet, ungerechte Praktiken aufzudecken und uns gegen Diskriminierung einzusetzen.

Wie aus dem Leitbild des Betula zu entnehmen ist, arbeiten wir nach keiner bestimmten Weltanschauung. Wir arbeiten mit lösungs- und sozialraumorientierten Methoden, Haltungen und Handlungskompetenzen und fordern Normalisierung, Mitverantwortung und Partizipation ein.

Was bedeutet dies nun für die Arbeit im Betula?

Sozialräumlich gedacht, sind Menschen nicht als alleinstehende Subjekte zu betrachten. Sie sind verwoben mit den Orten, wo sie sich aufhalten und den Strukturen, die das Handeln der Menschen an diesen Orten beeinflussen. Wir leben also als erstes in einer Gesellschaft, wo bestimmte Rechte und Pflichten gelten.
Dabei haben wir im Betula den Anspruch, dass alle Menschen das Anrecht haben, am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und wir sie dazu befähigen nach dem Normalitätsprinzip mit Strukturen, also Werte, Normen und Gesetze umzugehen, damit sie ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben führen können.

Umgang mit Strukturen bedeutet für mich, nicht alles als gegeben und unveränderbar anzuschauen, sondern mit einer kritischen Haltung zu betrachten.

Möchten wir unsere Klientel als lernfähige Subjekte entlassen, die sich den Gesetzen der Gesellschaft unterordnen oder möchten wir vernunftbegabte Menschen, die befähigt sind, ihnen erfahrene Ungerechtigkeit anzusprechen und anzufechten?

Denn Strukturen haben einerseits den Anspruch, dass wir uns in einer Gesellschaft auf gemeinsame Werte einigen, andererseits können diese verhandelten Strukturen dazu beitragen, dass Minderheiten und (vermeintlich) Schwächere einer Gesellschaft nicht die gleichen Chancen zugestanden werden wie der Mehrheitsgesellschaft. Es wird also soziale Ungleichheit produziert, um bestimmte Herrschafts- und Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten und Privilegien zu behalten. Dies geschieht über Stigmatisierung, Marginalisierung und Diskriminierung, also auch rassistischer Diskriminierung.

Um zu verstehen wie Rassismus entsteht und was darunter verstanden werden kann, ist es wichtig, sich einerseits mit den Definitionsgeschichte des Begriffs und den historisch gewachsenen Herrschaftsverhältnissen auseinanderzusetzen. Ich möchte vorgängig drauf aufmerksam machen, warum es wichtig ist, zu verstehen wie Wirklichkeit entsteht. Gemäss Peter L. Berger und Thomas Luckmann kann Wirklichkeit als gesellschaftliche Konstruktion verstanden werden. Das heisst also, Wirklichkeit ist nicht gegeben, sondern wird hergestellt.

Wie entsteht Wirklichkeit? Menschen, die zusammenleben, müssen sich auf gemeinsame Werte und Begrifflichkeiten einigen, damit wir verstehen, was der andere meint. Wo Menschen aufeinander treffen und zusammenleben, tauschen sie sich über Interaktionen und Handlungen aus. Diese verfestigen sich in Externalisierungen, d. h. es entstehen Routinen, Alltagsgewohnheiten und gegenseitige Erwartungshaltungen in Form von Rollenerwartungen. Das heisst, sie werden von der Gesellschaft als wechselseitige Erwartungen von Dauer über mehrere Generationen hinweg verankert.

Menschen schaffen sich ihre Wirklichkeit über Interaktionen und Handlungen, welche sie als Verhaltungserwartungen externalisieren (veräussern) und schlussendlich in Objektivationen (objektive Wirklichkeit) wiederzeigen. Diese Objektivationen geben wir z. B. unseren Kindern weiter (Internalisierung).

Menschen haben also zwei Tätigkeiten in einer Gesellschaft: Einerseits müssen sie sich der Welt entäussern und verändern damit die Welt = Vergegenständlichung, andererseits machen sie sich Teile der Welt zu eigen und verändern dadurch sich selber = Aneignung. Also ein immerwährendes Spiel zwischen Welt aneignen und in der Welt Spuren zu hinterlassen, die die Welt verändert. Das heisst, wir stellen Neues her und eignen uns Gegebenes an.
(Z. B.: Kleinkind lernt Essen mit Besteck, entwickelt motorische Fähigkeiten und funktioniert das Besteck zu Spielzeug um.)

Menschen und Gesellschaften sind also eng miteinander verwoben über Interaktionen. Menschen vergewissern sich, dass die Welt und sie selber existent sind, indem sie miteinander interagieren. Kinder werden sozialisiert (Internalisierung), in dem sie in den verschiedenen Interaktionen sich Sprache, Rollen und Einstellungen, Moral und Normen aneignen.

Wenn wir also unsere Welt wahrnehmen, einigen wir uns in einer Gesellschaft darauf, bestimmte Gegenstände, Handlungen oder Ereignisse in Begriffen für alle verständlich festzuhalten. Es entstehen Sprache, symbolische Sinneswelten, materielle Welten (Infrastrukturen), Rollen und Institutionen.

Es ist also wichtig zu verstehen, dass wir über Sprache Wirklichkeiten herstellen. Über diese subjektiven Wirklichkeiten entstehen gemeinsame Werte und Normen, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Es wird entschieden, wer die Macht hat zu definieren und zu deuten und wer nicht (z. B. Politik, Wissenschaft usw.).

Soziale Arbeit leistet einen Beitrag an Gestaltung von Welt (Vergegenständlichung) und fördert oder behindert Aneignungs- und Vergegenständlichungsprozesse.

In Bezug auf das Thema Rassismus möchte ich festhalten, dass wir als Professionelle der Sozialen Arbeit uns unserer Sprache bewusst machen müssen. Welche Begriffe und Definitionen nutze ich, was sagen sie aus und welche Strukturen halte ich damit aufrecht? Jeder Begriff impliziert ein Menschenbild, eine Annahme, eine Beurteilung. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht selber soziale Ungleichheit reproduzieren. Rassismus beinhaltet eine bestimmte Sprache, die die Minderwertigkeit bestimmter Personen oder Gruppen hervorhebt. Wenn wir diese Begriffe nutzen, laufen wir Gefahr, rassistische Sprache zu institutionalisieren.

Wenn wir also von Rassismus sprechen, müssen wir wissen, was Rassismus bedeutet. Der Begriff hat historisch viele Veränderungen erfahren. Ich möchte in meinem nächsten Beitrag darauf eingehen, was ich unter Rassismus verstehe und wie wir als Sozialarbeitende unsere Verpflichtungen nachkommen können, um solchen menschen verachtenden Ideologien keinen Nährboden zu geben.

Literaturquellen:
Peter L. Berger/ Thomas Luckmann 1995
Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit. Eine Theorie der Wissensoziologie. Sozialwissenschaft Fischer, 5. Auflage

1 Kommentar zu „Durch meine Erfahrungen von Rassismus und Diskriminierung“

  1. Ich werde den blog ein paar mal durchles damit ich ihn verstehe so grob verstand ich es aber bei weiteren durchgehen wird er sicher klarer. Zumindest ein wichtiges thema

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Betula-Newsletter

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter und wir informieren Sie über Themen, News und Veranstaltungen von Betula.

Einverständnis Datenschutzerklärung *
Nach oben scrollen
Scroll to Top