Lebenselixier Licht

Simon Schmid , Sozialpädagoge

Die Erkenntnis, wie wichtig Licht für uns ist, traf mich anfangs meiner Zwanziger wie ein Schlag mitten ins Gesicht, als ich den schlimmsten Job meines bisherigen Lebens angenommen hatte. Als Übergangsjob habe ich TV- und Fernsehverträge an den Mann bzw. die Frau gebracht, dies im Untergeschoss eines Einkaufszentrums. An einem gewöhnlichen Dienstag-Nachmittag hat es dort jedoch kaum Menschen, denen man etwas aufschwatzen könnte. Die Verkäufer:innen sind beschäftigt mit Inventur und Ladengestaltung, während ich einfach da stand und den Sekundenzeiger beobachtete. Noch viel schlimmer als diese unfassbare Langeweile war jedoch die komplette Abwesenheit natürlichen Lichtes. Überall Fernseher, PC-Bildschirme, Neonröhren. Dass ich die Hochzeit von Prinz William und seiner Kate auf etwa 27 Bildschirmen gleichzeitig verfolgen konnte, war leider ein schwacher Trost. Häufig habe ich mich gefragt, wie wohl draussen das Wetter ist. Ob die Sonne noch scheint oder sie schon untergegangen ist? Da wurde mir erstmals richtig klar, wie wichtig das Sonnenlicht für mich und alle Menschen ist. Wir orientieren uns daran, es gibt uns Energie, die mir in diesem Job fast gänzlich abhandenkam. Ich bin seither der festen Überzeugung, dass es für die betroffenen Berufe eine gesetzliche Grundlage für Zeit an der frischen Luft mit Zugang zu natürlichem Licht geben müsste. Deshalb möchte ich in den folgenden Zeilen das Licht würdigen und seine Wichtigkeit in verschiedenen Lebensbereichen wortwörtlich beleuchten.

Ohne Licht kommen wir nicht zum Ziel. Die Welt wäre ein einziges Labyrinth, wenn wir in kompletter Dunkelheit leben würden. Wir wären nicht fähig, uns zu orientieren, sowohl in der äusseren als auch in der inneren Welt. Denn genauso wie die Laternen am Strassenrand benötigen wir auch in uns Orientierungspunkte, die uns durch unser Leben begleiten. Unsere Werte und Überzeugungen, Erfahrungen, Wünsche und Beziehungen geben uns die Richtung vor. Und tappen wir mal im Dunkeln, helfen sie uns, wieder auf unseren Weg zurückzufinden oder einen neuen einzuschlagen.

Ohne Licht gibt es keine Schönheit. Wir würden sie zumindest nicht erkennen. Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters, doch ohne Licht wäre sie für uns gänzlich unsichtbar. Das Lächeln eines uns lieben Menschen, die kraftvollsten Naturphänomene und schönsten Gemälde wären bedeutungslos, wenn wir sie nicht mit Hilfe von Licht und Schatten als solche erkennen könnten.

Ohne Licht werden wir krank. Es stärkt unser Immunsystem und unsere Knochen. Es senkt die Ausschüttung von Stresshormonen und damit unseren Blutdruck. Und dass es in Skandinavien aufgrund der vielen Dunkelheit zu überdurchschnittlich vielen saisonal bedingten Depressionen kommt, ist ebenfalls kein Geheimnis. In Schweden sind deshalb teilweise Tageslichtlampen an den Bushaltestellen installiert, und in den skandinavischen Spitälern gehört die Lichttherapie zum Standard. Wo also kein Licht ist, kann es auch keine Gesundheit geben.

Ohne Licht sind wir ganz uns selbst ausgeliefert. Im Dunkeln lebt es sich einsam. Wir sehen einander nicht, und dies nicht nur optisch, sondern vor allem auch zwischenmenschlich. Wir können uns zwar unterhalten, doch reichen Worte kaum aus, um ein Miteinander entstehen zu lassen. Es sind die vermeintlich kleinen Beobachtungen, die uns helfen, unser Gegenüber wirklich zu verstehen. Gegenseitiges Verständnis jedoch ist die Grundlage jeglicher Gemeinschaft, und ist die Gemeinschaft nicht das, was unsere Welt – zumindest in unserem persönlichen Mikrokosmos – im Innersten zusammenhält?

Beim Verfassen dieses Textes fiel mir erneut auf, wie trostlos ein Leben im Dunkeln wohl sein muss. Und auch, auf wie vielen Ebenen Personen mit eingeschränkter und komplett verloren gegangener Sehfähigkeit zu kämpfen haben müssen. Geniessen wir also unser Augen- und das Sonnenlicht, so lange und ausgiebig wie möglich.

Ich wünsche euch allen eine schöne, hell erleuchtete Weihnachtszeit.

1 Kommentar zu „Lebenselixier Licht“

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