Meine Lieblingsjahreszeiten und Sozialpsychiatrie

Über: Warum ich den Herbst und den Winter so gern habe. Über die Tatsache, dass jede und jeder ein Paket zu tragen hat. Und was das alles mit der Sozialpsychiatrie zu tun hat.

von Karin Morgenthaler

Nun, gleich vorab: dieser Blog enthält persönliche Details. Ja, ich oute mich hier. Und zwar total. Vor allen. Öffentlich.

Eröffnen möchte ich damit, dass ich den Herbst und den Winter als meine Lieblingsjahreszeiten bezeichne. Die wunderbaren Farben im Herbst, die angenehmen Temperaturen, die erfrischende Luft, welche alles reinigt und von neuem Atem holt. Die klare Stimmung und auf der anderen Seite die Nebelbilder, welche dazu einladen innezuhalten. Den Rückzug erlauben.

Dann der Winter mit seiner weissen Decke. Der Stille, die unumstösslich mit einer verschneiten Landschaft einhergeht. Das Knirschen des Schnees unter der Sohle und – natürlich – die endlosen Möglichkeiten, Wintersport zu betätigen. Schön, wohne ich in der Schweiz – mit vielen Bergen, vielen Gondeln, hunderten Sesselliften. Meist direkt vor oder nicht weit entfernt von der eigenen Haustüre.

Und wissen Sie, was noch – für mich als i-Tüpfelchen – dazu kommt, weshalb ich die kälteren Jahreszeiten so sehr mag? Es hat keine Spinnen. Richtig, ich meine die achtbeinigen Tiere, welche so nützlich für die Natur sind. Mir ist klar, dass es diese Tierchen braucht. Und doch: sehe ich eine, habe ich meine liebe Mühe.

Ich bekomme nasse Hände. Ich traue mich kaum, an ihnen vorbei zu laufen, da muss der Abstand schon gross  genung sein. Ich kriege Panik, wenn ich aus Versehen in ein Spinnennetz laufe – die Besitzerin könnte ja dann auf mir gelandet sein!

So weit, so “gut“. Wie Sie sich vorstellen können, befinden sich in einem Wohnheim auch Keller und Untergeschosse. Und ja, richtig: dort verstecken und verkriechen sich die Achtbeiner sehr gerne. Und ich gehe nicht selten mit Bewohnerinnen oder Bewohnern in den Keller, um Dinge zu holen. Und natürlich: auf der einen Seite des Flures im Untergeschoss sitzt eine schwarze, für mich riesig anmutende Kellerspinne.

Durchatmen und sich möglichst weit von der Wand entfernt entlangschleichen ist dann die Devise.  Nun, in dieser Situation war ich nicht alleine, nein. Ein Bewohner ist mit von der Partie. Natürlich fällt das auf, wenn ich mich so auffällig verhalte und natürlich wird nachgefragt. Ich sage also direkt, dass ich unter einer Spinnenphobie leide. Ich jedoch Expositionstraining mache – sobald ich auf meinem Nachhause-Weg eine Spinne sehe, bleibe ich stehen und versuche mich zu nähern. Und das hilft. Zwar langsam und über Jahre, aber es hilft. Früher wäre ich nämlich nie und nimmer an oben genannter Spinne vorbei, nein. Ich hätte dem Bewohner den Schlüssel gegeben und aus sicherer Entfernung abgewartet.

Es ist allgemein bekannt, dass ich diese Tiere nicht mag. Und daraus ergeben sich wunderbare Diskussionen. Und manchmal auch völlig erstaunte Gesichter: „Was, du hast Angst? Aber du bist doch hier im Betreuungsteam!“ Dann wird mir (leider) klar, welches Bild wohl über die Jahre an die Klientinnen und Klienten vermittelt wurde: Betreuende sind Übermenschen, die ihr Leben total im Griff haben. Keine Ängste, Phobien oder sonstige Dinge, die sie mit sich herumtragen. Nein, sowas haben die bestimmt nicht, sonst würden sie ja nicht in der Sozialpsychiatrie arbeiten. Solche Aussagen stimmen mich immer ein bisschen traurig.

Gibt es Gründe, weshalb ich diese Angst vor diesen Tieren verstecken sollte? Ich finde nicht. Natürlich breite ich nicht mein gesamtes Privatleben aus. Aber hey, Angst vor Spinnen oder eine Spinnenphobie ist nichts, das niemand wissen dürfte. Und dass es „menschelet“ ist mir gerade auch recht. Denn: wäre es wirklich hilfreich, wenn wir als „Übermenschen“ angesehen werden, die über alles erhaben sind? Oder ist es natürlicher und notabene auch normaler, wenn auch wir transparent machen, dass es bei uns nicht immer geradeaus geht?

„Jeder von uns geht ein Risiko ein, dozierte die Spinne, als die Fliege in ihrem Netz zappelt. Mein Leben zum Beispiel hängt ständig am seidenen Faden.“ – Ole Anders, deutscher Publizist

1 Kommentar zu „Meine Lieblingsjahreszeiten und Sozialpsychiatrie“

  1. Ich habe das auch manchmal, dass ich das gefühl habe die menschen die mich im moment begleiten sind übermenschen! Danke für deine ehrichkeit für mich ist eine spinnenphobie nicht peindlich, sie zu verschweigen wäre peindlich! Danke es macht dich nur noch menschlicher. Ich zum beispiel habe angst vor tiefen brunnen und unterwasser sein! So hat doch jeder eine kleine oder grosse angst! Gruss severine

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