Ich bin Sozialarbeiterin. Da haben Sie’s. Und zwar eine, die noch nicht einen grossen, hohen Turm als ihre „Alma Mater“ schimpft, sondern einen feinen, kleinen Campus in Rorschach. Am See. Mit vielen Pausen. Und einem Volleyball-Feld. Und Liegestühlen auf der Wiese. Und farbigen Wänden. Mit Bildern.
Ausserdem mag ich das Reden um des Reden willens, trage manchmal Wollsocken, führe gerne endlose Diskussionen ohne Endergebnis, interessiere mich für die Psyche des Menschen und zünde gerne mal eine Kerze an. Eine Vorzeige-Sozialarbeiterin also!
Noch mehr Vorurteile? Hier lang:
Nein, ich habe nicht auf jedes Verhalten eine psychologische Erklärung. Und nein, ich habe mein Diplom nicht in Psychologie. Ja, ich mache noch etwas anderes während meinem Arbeitstag, als Kaffee zu trinken und ein wenig zu reden. Ja, ich muss tatsächlich auch Berichte schreiben und nein, ich tanze meinen Namen grundsätzlich nicht (obwohl ich nicht beurteilen kann, ob das Spass macht – wer weiss, vielleicht probiere ich das mal aus). Nein, ich bin nicht „so sozial, dass ich mein letztes Geld für Spenden ausgebe“, ebenso wenig wie ich nicht niemals fluche.
Vorurteile. Sie begegnen uns täglich, wir werden mit ihnen konfrontiert und – bestenfalls – wir versuchen sie aus dem Weg zu räumen. Leider müsste ich jedoch nicht lange suchen, um Schlagzeilen zu finden, welche bereits gebildete Vorurteile bestätigen und festigen. Die Liste wäre – leider – viel zu lang.
Finde ich manchmal die Einseitigkeiten nervend und mühsam, die meinen Beruf betreffen, desto heftiger müssen die Vorurteile für psychisch erkrankte Menschen sein. Nicht nur, dass hier die Vorurteile eben nicht über einen gewissen „Witz“ verfügen wie zum Beispiel die Wollsocken bei den Sozialarbeitenden. Nein. Sozialarbeitende können die Socken ausziehen. Das ist der grosse Unterschied. Menschen mit Beeinträchtigung können nicht aus der eigenen Haut. “Ihre Socke” lässt sich nicht so einfach abstreifen oder Masche für Masche wieder öffnen, um sie neu zu stricken. Ich wünschte mir, es würde, statt der Fütterung der Vorurteile, besser mal neue Wolle geholt und diese den Betroffenen angeboten werden – die Socken würden so viel besser sitzen. Und nebenbei auch viel wärmer geben, was in dieser Jahreszeit sowieso nur von Vorteil wäre.
„Welch triste Epoche, in der es leichter ist, ein Atom zu zertrümmern als ein Vorurteil!“ Albert Einstein, theoretischer Physiker
Karin Morgenthaler
6 Kommentare zu „Vorurteile“
Du hast ins Schwarze getroffen. Danke für den Beitrag. Auf dass es endlich neue Wolle für alle in unserer Gesellschaft gebe.
Vielen Dank!
Sehr schön geschrieben, vielsagend und treffend mit Herz ☺
Herzlichen Dank 🙂
Voruteile helfen uns ja irgendwie auch, mit unserer komplexen Umwelt klar zu kommen. Von daher finde ich sie menschlich. Nur, wer Vorurteile nicht hinterfrägt und ggf. ablegt, sondern sehr viele davon braucht, um die Welt (scheinbar) zu verstehen, der ist möglicherweise mehr beeinträchtigt als “Beeinträchtigte”.
Wie immer ein kurzweiliger, sympathischer Beitrag! 🙂
Da hast du recht, Bettina! Danke fürs Mitteilen dieser Gedanken!
Und danke 🙂