Zwischen dem Verdrängen und dem Aufprall in der Realität

Über Fragen, die Angst machen und trotzdem wichtig sind. Über das Ignorieren, über die Frageangst. Und doch eigentlich über Fragen, die zwar Angst, jedoch auch Hoffnung machen können.

Karin Morgenthaler

Wir Menschen sind wahnsinnig gut im Verdrängen, Verstecken, Überspielen oder Verleugnen. Läuft das Verdräng-Versteck-Überspiel- und Verleugnungsfass, dann irgendwann über, sehen wir uns konfrontiert mit der harten, kalten, wenig rosaroten Realität.

Zwischen dem Verdrängen und dem Aufprall in der Realität, also auf dem Boden der Tatsachen, unbeschönigt, unverfälscht, sind (oft) Sätze von Freunden und Verwandten zu hören wie: „Das kommt schon wieder gut!“

Ich kann mir vorstellen, dass es bei jedweder Erkrankung so tönen mag, ich möchte nun aber – beruflich bedingt –gerne bei den psychischen Erkrankungen bleiben.

Bahnt sich beispielsweise eine Depression mit all ihren Facetten an, kriege ich oft, wenn ich das Umfeld in meine Arbeit mit einbeziehe, den Satz zu hören: „(…), wir dachten immer, das kommt dann schon wieder. Das ist halt so eine Phase.“ Oder: „Ich habe dann jeweils gesagt, dann musst du dir halt ein bisschen mehr Mühe geben. Das wird schon wieder!“

Ich will nun überhaupt nichts gegen solche Aussagen sagen, nein, das liegt mir fern. Mir ist klar, dass das Umfeld viel wert ist und ich möchte weder moralisieren noch abwerten oder korrigieren.

Ich frage mich nur, was ist, wenn es eben nicht mehr gut wird, wenn es eben nicht nur eine Phase ist und wenn es eben „einfach nicht mehr wird“.

Natürlich wünschen wir uns alle für einen Betroffenen einer psychischen Erkrankung, dass es ihm oder ihr bald wieder besser geht. Natürlich, das steht ausser Frage. Doch was geschieht mit dem Betroffenen, der Betroffenen selbst? Wenn, tief in der Depression, die Frage auftaucht: „Was ist, wenn es eben nicht mehr besser wird? Nicht mehr aufwärts geht, wie mir alle sagen?“ Traut man sich dann zu sagen, was man denkt? Oder wiegt die Angst vor der Angst des Gegenübers zu sehr? Hat man überhaupt die Energie, eine solche Diskussion zu starten?

Ich weiss es nicht. Was ich aber weiss, das ist, dass jedwede Frage gestellt werden sollte. Und solche Fragen dürfen auch lauten: Was ist, wenn ich nicht mehr aus dieser Depression herausfinde? Oder umgekehrt: Was, wenn er oder sie nicht mehr aus dieser depressiven Phase herauskommt? Solche Gedanken sind manchmal schwer zu verkraften – und doch drängen sie immer wieder ins Bewusstsein. Es wird jedoch nicht leichter, indem man sich ängstlich vor dieser Frage versteckt – obwohl diese Strategie zumindest für eine Weile ganz gut funktionieren mag.

Oh nein, ich bin kein Pessimist, ganz im Gegenteil. Ich stelle mir bloss gerne Fragen, denke gerne über gestellte oder ungestellte Fragen nach – ganz gleich in welche Richtung sie auch gehen mögen. Und ich bin ganz fest überzeugt davon, dass wenn wir uns trauen, alle Fragen – auch die schmerzhaften – zu stellen, ergibt sich daraus wieder eine ganz andere Verbindung und Diskussion. Denn: ignorieren war noch nie eine wahnsinnig kluge Idee. Das zeigt das Weltgeschehen, aber das zeigt auch die ganz eigene Geschichte. Irgendwann wollen auch die unangenehmen Dinge raus. Lassen wir sie doch kontrolliert raus – statt in einer riesen Explosion, die niemand mehr zu überwachen schafft.

„Angst haben wir alle. Der Unterschied liegt in der Frage wovor.“ – Frank Theodor Thiess, deutscher Schriftsteller

1 Kommentar zu „Zwischen dem Verdrängen und dem Aufprall in der Realität“

  1. Ja, ich denke, viele Menschen, gleich, welche Phase sie durchlaufen, die “weniger schön” ist, hören “das wird schon wieder gut” o.ä. aus der Motivation heraus, dass die Verdrängung einen massiven Einfluss hat, jedoch auch die Hoffnung. Das sind beides sehr starke Phänomene. Die Verdrängung und die Hoffnung tragen beim Betroffenen selbst dazu bei, den Status Quo besser zu verkraften und sind ja nicht per se schlecht. In dem Moment würde wohl die Psyche zusammen brechen, wenn sich die Person konfrontieren würde. Deshalb wird dies erst einmal aufgeschoben.
    Das Gegenüber fühlt sich sicher hilflos und wendet diese Floskeln an, denke ich. Da ist es als Betroffener hilfreich und wichtig, jemanden, seien es professionelle Personen, Selbsthilfegruppen…oder Freunde, an seiner Seite zu haben, die genau diese Frage stellen: “Was ist, wenn es nicht besser wird?” Dann geht es um einen Plan B. Denn, der ist ebenso wichtig wie der Plan A.

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