Zwischen dem Notwendigen und dem Richtigen

Wir übernehmen Verantwortung, und wir geben sie auch ab. Die Gratwanderung gerät des Öfteren ins Wanken und die Schwierigkeit der Balance zeigt sich immer mehr. Wann und wie viel Verantwortung können wir für andere Menschen überhaupt tragen?

von Karin Morgenthaler

Fragt man völlig unwissend, was denn „Verantwortung übernehmen“ bedeutet, erklärt uns der Duden: „(…)die Pflicht, dafür zu sorgen, dass (in bestimmten Situationen) das Notwendige und Richtige getan wird und kein Schaden entsteht.“

Oh weh, wie schwer das alles klingt. Es ist meine Pflicht, beispielsweise in Krisensituationen in meinem Alltag, darauf zu achten und ganz sicher zu sein, dass alles korrekt vonstatten geht und nichts „passiert“. Überdies: besteht nicht ein Unterschied zwischen dem Notwendigen und dem Richtigen?

Denke ich an eine Krisensituation – beispielsweise eine suizidale Absicht –, wo ist der Übergang vom Notwendigen zum Richtigen? Und wenn ich mir nicht sicher bin, ob meine Intervention richtig ist, mache ich dann lieber nichts? Weil der Pflicht, das Richtige zu unternehmen, keinen Fehler zu machen, unterstehe ich ja.

Und auf der anderen Seite – in meinem Berufszweig sprechen wir oft von „Verantwortung (wieder) abgeben“. Was gebe ich denn genau ab? Danach zu schauen, dass kein Schaden entsteht? Oder, dass das Richtige getan wird? Kann ich jene überhaupt abgeben? Oder anders gefragt: kann ich diese Aufgabe für jemand anderen überhaupt übernehmen? Und ich meine übernehmen im Sinne wie es uns der Duden erklärt. Voll und ganz.

In meiner Wahrnehmung bedeutet Verantwortung übernehmen nicht unbedingt, das Richtige zu tun oder keinen Schaden entstehen zu lassen. Sondern vielmehr etwas auszuprobieren, auch wenn es im Nachhinein vielleicht keine hilfreiche Intervention war. Verantwortung übernehmen ist meiner Meinung nach, für sich selber hinzustehen, einzustehen und bei Bedarf wieder aufzustehen – wenn doch etwas schief gegangen ist. Verantwortung übernehmen heisst für mich, auch auf mich und meine Bedürfnisse zu hören. Und Verantwortung für jemanden übernehmen heisst für mich: ich weiss nicht genau, was für mein Gegenüber das Richtige, das Notwendige ist. Verantwortung für jemanden zu übernehmen heisst in meiner Wahrnehmung, dass ich nach bestem Wissen und Gewissen – falls gar nichts mehr möglich ist – für jemanden entscheide. Ob dies dann korrekt war oder nicht, kann vorher nicht (immer) abgeschätzt werden. Und das ist auch gut so – wir sind schliesslich Menschen und keine Maschinen, bei denen jedwede Handlung vorhersehbar ist und per Knopfdruck Fehlermeldungen wieder behoben werden können.

Ich für meinen Teil bin also nicht bereit, die volle Verantwortung laut Duden für jemanden zu tragen und kann das auch gar nicht. Ich kann versuchen, mich in die Person hinein zu versetzen, oder nach gängigen Schemen zu arbeiten, mein Bestes zu geben – ich kann jedoch niemals die volle Verantwortung übernehmen, gerade nicht bei der Arbeit. Wie auch, wenn es ja bedeutet, dass das Richtige getan werden muss. Mache ich als Individuum denn immer alles richtig? Ich denke nicht, nein, ich weiss, dass dies nicht der Fall ist. Es wäre anmassend, dies für andere zu entscheiden. Oder nicht?

„Die Verantwortung für sich selbst ist die Wurzel jeder Verantwortung.“ – Mong Dsi, konfuzianischer Philosoph und wandernder politischer Ratgeber

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